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Der kuerzeste Tag des Jahres

Der kuerzeste Tag des Jahres

Titel: Der kuerzeste Tag des Jahres Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Dubosarsky
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um die Schultern. »Du zitterst ja, Samuel. Ist alles in Ordnung?«
    »Oh, mir geht es gut«, antwortete Samuel mit einem leichten Schütteln. »Du hast mich bloß erschreckt.« Er spürte den Druck, mit dem der Arm seines Großvaters auf ihm lastete, und fühlte sich sofort besser. »Ich dachte, du wärst in Brisbane.«
    »Nein«, sagte Elias. »Heute nicht.«
    »Woher hast du dieses Auto?«, fragte Samuel und zeigte darauf, weil Elias, solange er ihn kannte, noch nie einen eigenen Wagen besessen hatte. Er hatte Elias nicht mal einen fahren sehen.
    »Hab ich gemietet. Um zum Flughafen zu kommen.«
    Samuel war verwirrt. Also flog Elias doch nach Brisbane? Wie sein Kopf schmerzte! Ihm ging auf, dass er wirklich krank war. Das war mehr als Müdigkeit, etwas stimmte nicht mit ihm.
    »Steig ein.« Elias hielt ihm die Tür auf. »Und herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Samuel«, sagte er und gab ihm einen Kuss.
    »Herzlichen Glückwunsch, Zaide«, gab Samuel zurück. Die Straße war so ruhig. Lincoln Street. Samuel hatte diesen Namen immer gemocht, wegen Robin Hood. Als sie noch sehr klein gewesen waren (sehr klein, bestärkte Samuel sich ernst), hatten er und Theodora geglaubt, Robin Hood und seine lustigen Männer lebten eigentlich in der Lincoln Street, verborgen im Geäst der Bäume, bis irgendwer auftauchte und sie sich blitzschnell wie Elfen außer Sichtweite brachten. Es war eine so überaus ruhige Straße.
    »Kommst du mit uns ins Restaurant?«, fragte Samuel und rieb sich den Kopf. Sie gingen doch zusammen aus, oder? Aber Elias schien ihn misszuverstehen.
    »In Ordnung, Samuel«, stimmte Elias zu. »Wir werden etwas essen. Wir werden unterwegs anhalten und uns etwas besorgen.«
    Er bedeutete Samuel mit einer erneuten Geste, in den Wagen einzusteigen. Samuel ließ sich in die sauberen, parfümierten Polster sinken, und gegen seinen Willen fielen ihm die Augen zu. Er war so müde. Elias gurtete ihn an und drückte ihm einen Kuss auf die Stirn.
    »Ich will einen Milchshake«, murmelte Samuel. Und danach würden sie Pizza essen gehen, oder? Mit seiner Mutter und Elkanah und Theodora?
    »In Ordnung, Samuel. Was immer du willst.«
    Elias drehte den Zündschlüssel um. Der Wagen startete und fuhr davon, geschmeidig wie eine aufsteigende Rakete.
    Pearl versuchte Hannah anzurufen, aber die Leitung war besetzt. Sie wollte Samuel zum Geburtstag gratulieren, Hannah aber auch mitteilen, dass sie Theodoras Reisepass nicht gefunden hatte.
    Hannah hatte versucht, für sie alle Visa zu organisieren – Elkanah damit zu beauftragen, war sinnlos, auf ihn war kein Verlass –, aber Theodoras Reisepass war unauffindbar geblieben. Also hatte sie Pearl angerufen, in der Annahme, er sei eventuell bei einem von Elkanahs oder Theodoras Besuchen in Melbourne dort vergessen worden. Soweit Pearl das nachvollziehen konnte, war dies aber nicht der Fall.
    »Ich schätze, sie werden einen neuen beantragen müssen«, sagte Pearl zu Bea in der Küche, in einer Hand den Telefonhörer, während sie mit der anderen Reis in einen Topf auf dem Herd schüttete.
    »Das hat noch Zeit«, brummte Bea, die abgebrannte Streichhölzer mit Kleber zu einer Schweizer Berghütte zusammenbastelte. Ihrer Erfahrung nach hatten die meisten Dinge Zeit, und je mehr davon, umso besser.
    Die Telefonleitung war besetzt, weil Hannah versuchte, Samuels und Theodoras Schule zu erreichen. Sie war erst kurz nach fünf von der Arbeit gekommen, mit dem frisch reparierten Wagen, voller Vorfreude auf das Pizza- und Eisessen zur Feier von Samuels Geburtstag.
    »Samuel«, rief sie, kaum dass sie ihre Jacke aufgehängt und den Hut abgenommen hatte.
    Elkanah warf ihr einen nervösen Handkuss zu. War sie immer noch sauer auf ihn? Sie hatte ihn vor dem Kaufhaus aus dem Wagen geworfen und dabei kaum ein Bis später über die Lippen gebracht, bevor sie wütend davongeschossen war, ohne dass irgendetwas zwischen ihnen geklärt gewesen wäre.
    »Er ist noch nicht zu Hause«, sagte er, indem er die Gesangspartitur zuklappte, in der er eher lustlos gelesen hatte.
    »Was soll das heißen, es ist schon nach fünf!« Hannah runzelte die Stirn. »Wo steckt er?«
    Elkanah streckte sich und legte seine Beine gerade. Er trug gelbe Socken.
    »Weiß ich nicht. Bei deinem Vater, nehme ich an. Da ist er doch inzwischen fast jeden Tag«, fügte er verdrossen hinzu.
    Elkanah missfiel die enge Beziehung zwischen Samuel und Elias. Samuel sollte mehr Zeit mit ihm, seinem eigenen Vater, verbringen.

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