Der Küss des schwarzen Falken
wollte. Zu Letzterem gehörte, dass ihm nicht der Sinn danach stand, sich auf Dauer zu binden und häuslich niederzulassen. Das war immer so gewesen, und jetzt wäre es sowieso zu spät, daran noch etwas zu ändern, selbst dann, wenn er das wollte.
Dazu kam, dass Grace aus einer ganz anderen Welt stammte als er. Sie gehörte in eine Villa mit einem großen Garten mit sauber geschnittenen Hecken und geharkten Kieswegen; eine Villa, in der das Essen pünktlich auf den weiß gedeckten Tisch kam. Doch es war nicht einmal ihr Reichtum, der den Unterschied machte. Es war ihre Art zu leben, die sie brauchte und die sie verdiente. Er hatte sie schon näher an sich herangelassen, als er das sonst tat. Keiner anderen Frau hatte er jemals so viel von sich erzählt. Es war an der Zeit, den alten Abstand zwischen ihnen wieder herzustellen.
Grace verschwand mit dem schmutzigen Geschirr im Dunkeln, um es am Bach abzuwaschen. Bevor sie danach ans Feuer zurückkam, hatte sie sich noch saubere Jeans und ein sauberes T-Shirt angezogen.
Fröhlich schwenkte sie nun eine Papiertüte. “Hier – Nachtisch!”, rief sie vergnügt. Sie setzte sich im Schneidersitz hin und begann auszupacken. Cracker, Schokoladenriegel und Marshmallows kamen zum Vorschein. Rand hatte sich so etwas gedacht. Sie musste es an einer der Tankstellen gekauft haben.
Er betrachtete ihre schönen, schlanken Hände, während sie das Süßwarensortiment vor sich ausbreitete. Sie trug keinen Ring. Dass eine Frau wie sie nicht verheiratet, nicht einmal verlobt war, war im Grunde erstaunlich. Auch einen festen Freund hatte sie bisher nicht erwähnt. Allerdings hatte er sie auch nicht danach gefragt. Er hatte lediglich registriert, dass sie, wenn sie mit diesem Tom sprach, ihre Stimme senkte und sich von ihm wegdrehte. Für ihn war das ein sicheres Zeichen, dass da irgendetwas zwischen den beiden lief.
Ganz beiläufig fragte er nun: “Wie lange kennen Sie sich eigentlich schon, Tom und Sie?”
Überrascht sah sie ihn an. “Ich verstehe nicht …”
“Wie lange kennen Sie Tom schon, den Mann, der morgen hierher kommen soll. Er heißt doch Tom, oder?”
“Ja, ja natürlich.” Grace griff nach einem langen dünnen Stock, den sie sich bereitgelegt hatte, spießte einen Marshmallow auf und hielt ihn über die Flammen. “Er kommt morgen zusammen mit Marty.”
Das war keine Antwort auf seine Frage. Sie wich ihm aus. Er kippte den restlichen Kaffee in sich hinein. Was ging ihn Tom an? Aber er konnte nicht anders, er musste weiterbohren. “Was sagt er denn dazu, dass Sie hier mit mir allein in der Wildnis kampieren?”
Der Marshmallow hatte Feuer gefangen. Mit einer raschen Bewegung zog Grace ihn zurück und blies die kleine Flamme aus. “Ich glaube nicht, dass er sehr begeistert davon ist”, antwortete sie gleichmütig. Sie legte das noch heiße Schaumgebäckstück zwischen zwei Cracker und presste sie ein wenig zusammen.
“Das wäre ich an seiner Stelle auch nicht.” Er nahm das Marshmallowsandwich, das sie ihm reichte.
Sie zuckte die Achseln. “Na und? Ist doch meine Sache.”
Rand wusste selbst nicht, warum, aber er fand diese Einstellung ziemlich aufreizend. “Muss ja ein wahnsinnig einfühlsamer und geduldiger Typ sein, dieser Tom”, sagte er und kam sich dabei reichlich albern vor. Trotzdem trieb etwas ihn dazu, immer weiterzumachen.
Grace bereitete, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen, das nächste Sandwich vor. “Einfühlsam und geduldig?” Sie lachte. “Das wäre das erste Mal, dass jemand das über ihn sagt. Aber was soll’s, er ist ein feiner Kerl, und ich liebe ihn.”
Rand schnappte nach Luft. “Sie lieben ihn? Und warum tun Sie ihm das dann an?”
“Was tu ich ihm denn an?”
“Mit einem wildfremden Mann quer durch Texas zu ziehen. Vielleicht bin ich ja einer von diesen durchgeknallten Lustmördern!”
“So ein Quatsch!”, sagte Grace heftig und warf ihm dabei einen Blick zu, als sei er tatsächlich irre. “Rand, was ist denn plötzlich in Sie gefahren?”
“Also, wenn Sie mein Mädchen wären, würde ich Sie eher im Stall anbinden, als Ihnen zu erlauben, sich mit einem Fremden allein in der Wildnis herumzutreiben.”
Grace funkelte ihn an. Ihre Lippen waren nur noch ein dünner Strich. “Wollen Sie mich wütend machen?”
“Ich sag bloß, was ich denke”, gab er zurück und biss in seinen Cracker.
“Und ich sage Ihnen jetzt mal Folgendes”, entgegnete sie scharf. “Erstens sind Sie nicht Tom. Tom ist bestimmt
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