Der Kugelfaenger
wickelt den Bademantel fest um sich. Tom folgt ihr zur Tür.
„Sie bleiben hier. Das mache ich alleine“, sagt sie, schlüpft in den Flur und macht ihm die Tür vor der Nase zu. Sie bleibt erstmal stehen und sieht sich um. Der Flur ist leer.
Ausgezeichnet.
Das Problem ist aber, dass sie auch nirgends etwas sieht, das etwas mit Kleidung zu tun hat. Es steht nicht mal ein Behältnis mit Schmutzwäsche herum. Der Flur ist wirklich leer.
Sie steht da und sieht von einem Ende des Ganges zum anderen. Hin und her.
Wenn der mich wieder reingelegt hat, dreh ich ihm den Hals um.
Aber sie versucht trotz ihrer Verärgerung Toms Ehre zu retten. Also fährt sie mit dem Aufzug ein Stockwerk weiter nach unten. Sie streckt ihren Kopf vorsichtig zur Tür hinaus und späht den Gang entlang. Nichts. Keine Kleidung, die verteilt wird.
Tom sitzt wahrscheinlich im Zimmer und lacht sich kaputt.
Sie fährt zum Stockwerk, das eins über ihrem liegt. Sie streckt wieder den Kopf nach draußen. Und hier sieht sie fast sofort, dass sie richtig ist. Nicht weit vom Aufzug entfernt, hängen auf einem fahrbaren Gestell, auf dünnen Drahtbügeln und in Plastikfolie gewickelt, mehr als ein Dutzend Kleider, Hemden, Anzüge und Hosen. Alles frisch gewaschen und gebügelt, bereit zum anziehen.
Sie sieht sich um. Es ist niemand zu sehen. Sie verlässt den Fahrstuhl und geht schnellen Schrittes auf das Gestell zu. Sie ist nicht hektisch und auch nicht nervös. Sie ist cool, gleichzeitig ist ihre Aufmerksamkeit um das hundertfache größer als sonst. Sie greift Wahllos nach irgendwas, das nach Männerkleidung aussieht und dann ohne genauer hinzusehen nach einem gelben Kleid. Sie zögert kurz. Dann nimmt sie sich noch etwas, das nach einem schwarzen Kleid aussieht. Sie klemmt das ganze unter ihren Arm und macht sich aus dem Staub. Sie hat nicht mal zehn Sekunden für die Auswahl gebraucht.
Gerade als sie den Fahrstuhl betritt und die Türen beginnen, sich zu schließen, kommt eine schwarzhaarige junge Frau angerannt und quetscht sich noch in den Aufzug. Sie drückt auf den Knopf für das Erdgeschoss.
Mist.
Evelyn lässt die Kleidung über ihrem Arm ein wenig nach unten sinken und heftet ihren Blick fest auf die Zahl über der Tür. Vier. Der Fahrstuhl bleibt nicht stehen. Hier hätte sie raus müssen.
Die Frau starrt sie von der Seite her an.
Warum sieht sie mich an, diese Tussi?
Kaum hat Evelyn diesen Gedanken zu Ende gedacht, da räuspert sich die Frau auch schon. „Entschuldigen Sie“, sagt sie und blickt Evelyn mit geweiteten Augen an. „Vielleicht klingt das jetzt ziemlich blöd, aber Sie sind nicht zufällig Evelyn Williams, das Model, oder?“
Evelyn wird innerlich stocksteif. Äußerlich ist ihr nichts anzumerken.
Das ist ihr schon länger nicht mehr passiert. Eigentlich noch so gut wie nie, wenn sie ehrlich ist. Entweder, weil die Leute sie nicht kennen, oder weil sie keine Lust haben, ein Model anzusprechen, das im Vergleich zu Cindy Crawford nicht mehr als eine Palme unter vielen ist. Außerdem ist es weithin bekannt, dass sie nicht nur eine Palme, sondern eine Stechpalme ist und man von ihr nur äußerst selten ein Autogramm bekommt. Wenn überhaupt.
Evelyn rechnet sich selbst zwei Möglichkeiten aus. Entweder sie streitet alles ab oder sie sagt die Wahrheit. Sie entscheidet sich für letzteres.
„Ja, das stimmt“, sagt sie und grinst breiter, als es nötig gewesen wäre. „Die bin ich. Ich laufe sehr gerne alleine und nur mit einem Bademantel bekleidet in Hotels herum.“
Die ihr unbekannte Frau sieht sie zuerst mit offenem Mund an, doch dann beginnt sie zu lachen. „Oh, das war gut.“ Sie lacht ein wenig weiter und betrachtet Evelyn von oben bis unten. Ihr Blick bleibt an ihren nackten Füßen hängen. „Tut mir leid. Sie sehen ihr aber ziemlich ähnlich. Aber das wäre sowieso zu schön gewesen.“
„Kein Problem“, sagt Evelyn. „Man sagt mir immer wieder, dass ich aussehe wie Evelyn Williams.“
„Oh, ich habe das selbe Kleid“, sagt die Fremde dann und deutet auf den gelben Stoff in Evelyns Armen. „Eines meiner Lieblingskleider.“
Super. Das ist wahrscheinlich sogar dein Kleid.
Evelyn drückt die Sachen fester an sich, als könnte sie sich dadurch davor schützen, aufzufliegen. Aber die Frau geht nicht näher darauf ein. Sie betrachtet stattdessen wieder Evelyns Gesicht. „Ich finde, Sie könnten glatt als ihre Doppelgängerin durchgehen“, sagt sie. „Diese Ähnlichkeit.“ Dann kramt sie aus
Weitere Kostenlose Bücher