Der Kugelfaenger
neben ihren nackten Zehen wieder in die Erde.
„Hallo, ihr zwei Süßen!“, brüllt Catherine mit einem Mal. Sie kommt mit unübersehbarem Seemannsgang über den Rasen gestolpert, auf die beiden Gestalten zu, die vollkommen nass im zukünftigen Teich stehen und mit Spaten und Schaufeln das Erdreich umgraben.
Irritiert hebt Evelyn ihren Kopf aus der Grube. Beim Anblick ihrer Tante bricht ihr der kalte Angstschweiß aus. Zuerst denkt sie, ihre Tante hat der Schlag getroffen, angesichts ihres deutlich unsicheren Ganges und dem Lallen ihrer Stimme. Erst beim zweiten Hinsehen bemerkt sie die Flasche in ihrer Hand.
„Oh mein Gott.“ Evelyn klettert aus dem Loch und stürzt sich auf ihre Tante. „Tante Catherine, geht’s dir gut?“
Catherine macht eine ausholende Geste, wobei sich der Großteil ihrer Schnapsflasche auf den Rasen ergießt. „Blendend“, lallt sie und zieht dabei das Wort in die Länge, „wirklich blendend.“ Sie lacht hastig, wehrt den Arm ihrer Nichte ab und tritt an die ausgehobene Grube heran, um einen Blick hineinzuwerfen. „Wundervoll“, sagt sie begeistert. „Ein wundervolles Loch.“ Dann lacht sie albern.
„Gib die Flasche her“, knurrt Evelyn und umklammert das Handgelenk ihrer Tante. Mit der anderen Hand entreißt sie ihr die Schnapsflasche und wirft diese in sicherer Entfernung ins Gebüsch.
„He“, beschwert sich Catherine und möchte der Flasche schon hinterher schwanken, als sie sich plötzlich nach vorne beugt und in das frisch ausgehobene Loch kotzt.
„Das reicht“, entscheidet Tom und packt Catherine über seine Schulter. Sie ist leicht wie eine Feder und so fällt es ihm nicht schwer, sie ins Haus zu tragen und sie auf ihr Bett zu legen. Evelyn zieht die Vorhänge zu und klatscht ihrer Tante einen nassen Waschlappen auf die Augen. Dann gehen sie wieder runter ins Wohnzimmer. Evelyn ist deprimiert. „An einem Tag backt sie wie verrückt Kuchen, am nächsten macht sie irgendetwas anderes bescheuertes. Scheiße. Ich frage mich, wo sie die Flasche her hat.“
„Aber sie hat doch kein Alkoholproblem?“, fragt Tom besorgt. Er kann die alte Dame gut leiden.
„Natürlich nicht. Auf keinen Fall. Sie trinkt nicht mal regelmäßig. Eher …
unregelmäßig
.“
Tom ist sich nicht so sicher, ob da ein so großer Unterschied besteht.
Evelyn kaut gedankenverloren an einem Fingernagel. „Ich habe eigentlich alles vernichtet, was im Entferntesten nach Alkohol aussah. Bis auf den Wein. Aber in den Keller geht sie sowieso nicht alleine.“ Sie sieht sich im Wohnzimmer um. Ihr Blick bleibt auf dem Tischchen mit Onkel Henrys Drinks hängen. Whisky, Cognac und so weiter. Aber die Flaschen sehen nicht so aus, als hätte Catherine sich dort bedient. Das würde sie auch nicht machen. Selbst wenn sie am Verdursten wäre. Schließlich sind das die Drinks ihres toten Mannes.
Evelyns Blick wandert zum Schrank. Sie kneift die Augen zusammen. Irgendwo muss sie schließlich anfangen zu suchen. Sie reißt eine Schranktür nach der anderen auf und beginnt herumzuwühlen. Und siehe da: Hinter einer Mauer aus leeren Keksdosen befindet sich eine Likörflasche, gefüllt mit grünlichem Zeug. Jetzt ist ihr Jagdinstinkt erwacht. Sie ist sich sicher, dass das noch lange nicht alles ist. Zusammen mit Tom durchpflügt sie die Wohnung systematisch. Bereits nach kurzer Zeit finden sie zwei Piccoloflaschen Sekt hinter einer Wand Bücher und eine weitere, bereits zur Hälfte geleerte Flasche in einer Blumenvase aus Porzellan.
„Ich habe noch was“, sagt Tom und zieht triumphierend einen silbernen Flachmann aus einer leeren Pappschachtel mit der Aufschrift:
Speisestärke
.
„Ich glaub’s ja nicht!“, stößt Evelyn wenig später aus und zeigt auf eine offene Schranktür in der Abstellkammer. Dort stehen mindestens acht Flaschen ohne Etikett, gefüllt mit trüber, gelblicher Flüssigkeit, hinter einer Kolonie Putzmittel.
„Ja, ist die denn wahnsinnig?“, schimpft sie. „Alkohol hinter Reinigungsmitteln zu verstecken. Das ist doch der Gipfel. Ich will gar nicht daran denken, was da hätte alles passieren können!“
Tom stimmt ihr mit einem nachdenklichen Kopfnicken zu, während er an einer Flasche schnuppert und sich ernsthaft fragt, wo Catherine nur so viel Hochprozentiges her hat. Und augenscheinlich ist das alles nicht gekauft, sondern selbst gebrannt.
„Wenn mir George unter die Augen kommt, werde ich ihn erwürgen“, faucht sie unheilvoll, packt den geheimen Alkoholvorrat ihrer
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