Der Kugelfaenger
die glänzende Stirn. „Ich kann ja verstehen, dass du sauer bist und so, aber … na ja …“ Er macht ein hilflos wirkendes Gesicht.
„Ach, weißt du,
sauer
ist vielleicht nicht der richtige Ausdruck“, sagt sie. „Klar war ich sauer und wütend; am liebsten hätte ich dich umgebracht, aber jetzt bin ich einfach nur noch enttäuscht.“
Er macht ein betroffenes Gesicht, weicht ihrem Blick aus und nippt vorsichtig an seinem Champagner. Er muss erst noch verdauen, dass sie ihn gerne umgebracht hätte.
Evelyn hat kurzfristig beschlossen, Jack noch ein wenig leiden zu lassen. „Was machst du hier überhaupt?“, sagt sie deshalb, das aber eigentlich nach „Was hast du hier zu suchen?“ klingen soll.
„Ich bin nicht wegen dir gekommen, wenn du das meinst“, sagt er langsam.
„Gut das zu wissen“, gibt sie ungerührt zurück.
„Ich bin wegen meinem Vater gekommen“, redet er drauflos. „Schließlich wird man nicht alle Jahre sechzig.“
„Achtundfünfzig und neunundfünfzig aber auch nicht.“
Jack geht nicht weiter auf ihre Provokation ein. Er nimmt einen Schluck Champagner und meint: „Gott, bist du schön, Chérie. Wie konnte ich das nur vergessen?“
„Ich mache dir keinen Vorwurf“, sagt Evelyn. „Zwei Jahre können eine lange Zeit sein.“
„Richtig“, stimmt Jack ihr zu. „Da kann man schon einiges vergessen. – Sag mal, hast du
mich
etwa vergessen?“
Evelyn zupft unruhig an ihrem Ohrläppchen herum. „Mir blieb wohl nichts anderes übrig“, sagt sie.
Geh weg, denkt sie. Hau ab und lass mir meine Ruhe. Du bringst mein Leben bloß noch mehr durcheinander. Und das kann ich nicht brauchen.
Evelyn stellt ihr Glas ab. Jacks bewunderndes Grinsen begegnet ihr.
Sie schlägt ihm vor, dass sie sich auf der anderen Seite des Saals an einen der freien Tische setzten könnten. Jack stimmt begeistert zu.
Es ist einer der furchtbarsten Abende ihres Lebens.
***
Als Tom klar wird, dass Evelyn jetzt nichts mit ihm zu tun haben will, zieht er sich zuerst an den Rand des Festes zurück. Aber nur so lange, bis ein alter Kerl auftaucht und ihn zu einem Wettsaufen überreden will. Tom flüchtet in einem unbeobachteten Moment in den ersten Stock. Von dort aus kann er sich an das glänzende Geländer lehnen und auf die bunte Menge von Geburtstagsgästen blicken.
Er stützt sich mit den Ellenbogen ab und mit einer Hand hält er sein Glas mit Cognac fest.
Wahnsinn, welchen tollen Überblick man von hier oben hat. Man sieht wirklich alles.
Eine vornehm wirkende Dame steckt ihr leeres Sektglas in ihre Handtasche, Jeans Neue, Susan, flirtet heftig mit einem jungen Typen und ein klappriger alter Herr gibt einer der jungen Kellnerinnen einen Klaps auf den Hintern, als seine Frau gerade mal nicht zu ihm hinschaut.
Tom steht genau über dem Buffet, an dem sich eine Gruppe junger Damen aufhält, die offensichtlich schon zu viel Alkohol intus haben und hysterisch lachen.
Weiter hinten sieht er Victoria. Sie sitzt einem jungen Mann an einem der wenigen noch freien Plätze gegenüber. Nein,
sitzen
ist das falsche Wort dafür. Sie
liegt
fast unter dem Tisch.
Tom trinkt noch etwas von seinem Cognac. Dann lässt er seinen Blick wieder über die Menschen unter ihm gleiten. Der DJ hat doch noch etwas anderes als U2 und Queen gefunden. Robbie Williams wird in diesem Moment von Tom Jones und
Sexbomb
abgelöst. Auf der Tanzfläche geht die Post ab.
Da entdeckt er Evelyn. Sie steht jetzt auf der gegenüberliegenden Seite, und sieht ziemlich mitgenommen aus. Neben ihr steht ein blonder Mann und redet auf sie ein. Tom kann ihn nur von hinten sehen, aber er sieht aus, als hätte er Mühe, Evelyn von seinen Ansichten zu überzeugen.
„Guter Überblick, nicht wahr?“, sagt auf einmal eine tiefe Stimme hinter ihm und schon im nächsten Moment lehnt sich Jean Dupont neben ihm an das Geländer. „Wovor sind Sie geflüchtet, Mr. Hunt?“, fragt er, während er auf die Menge unter ihm blickt.
„Vor verschiedenen Dingen“, sagt Tom. „Und Sie?“ Er mustert Dupont von der Seite. Er steckt in einem eleganten Smoking und sieht ein wenig müde aus. Aber seine sechzig Jahre sieht man ihm überhaupt nicht an.
„Vor dem ganzen Haufen da unten“, sagt er. „Die gehen mir alle ein wenig auf die Nerven. Und die Musik ist zu laut“, befindet er und lacht. „Ich brauchte eine kleine Pause. Und da habe ich Sie hier oben stehen sehen.“ Er holt eine Zigarre hervor und zündet sie an. „Sie sind also dem Beispiel Ihres
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