Der Kugelfaenger
Vaters gefolgt und auch Bodyguard geworden“, sagt er. „Macht Ihnen das Spaß?“
Tom überlegt einen Moment. Macht ihm das Spaß? Wenn er ehrlich ist, weiß er das gar nicht so genau. Dafür wurde ihm diese Frage zu selten gestellt.
„Ja“, sagt er. „Ich denke schon.“
„Wie geht es Ihrem Vater?“, fragt Dupont dann.
„Nicht besonders gut“, sagt Tom und starrt in sein Glas. „Er hat Krebs.“
Dupont pafft an seiner Zigarre. „Wie schlimm ist es?“
„Schlimmer als angenommen“, meint Tom ruhig. „Er hat Lymphdrüsenkrebs.“
„Bekommt er eine Chemotherapie?“
„Ja. Schlägt aber nicht besonders gut an.“
„Warum nicht?“
„Der Krebs breitet sich aus.“
„Scheiße“, sagt Dupont, was gar nicht zu ihm passt.
„Ja“, sagt Tom.
„Aber er sitzt immer noch an seinem Schreibtisch und arbeitet wie ein Besessener, nicht wahr?“ Er grinst.
„Ja“, sagt Tom. „Das tut er.“
Dupont raucht eine Zeit lang schweigend, dann meint er: „David muss ziemlich stolz auf Sie sein.“
„Ja“, sagt Tom tonlos. Er kommt sich so mies vor, wie schon lange nicht mehr. Sein Vater ist alles andere als stolz auf ihn. Das ist seit jeher so. Und es wird immer schlimmer.
„Ich muss gehen“, sagt Dupont schließlich, wendet sich ab und geht.
Tom seufzt. Er muss an seinen Vater denken, den er eigentlich überhaupt nicht sehen will. Aber das wird er bald wieder.
Unten – auf der anderen Seite – ruft der Fremde neben Evelyn nach einem rothaarigen Kellner, der nur wenige Meter weiter ungeduldig auf Bestellungen wartet. Er macht sich sofort auf den Weg, bleibt höflich stehen und hört Evelyn aufmerksam zu. Der Fremde bestellt nichts. Als Evelyn mit ihrer Bestellung fertig ist, reicht sie dem Kellner etwas – Tom meint, es könnte Geld gewesen sein – und der Kellner geht schnurstracks auf die gegenüberliegende Seite zu und quetscht sich an den Festgästen vorbei. Dann ist er am Buffettisch unter Tom angekommen und stellt darauf sein rundes Serviertablett ab. Sofort wird er von einem Paar mittleren Alters belagert, die sich über irgendetwas zu beschweren scheinen. Der Kellner gibt einer seiner jungen Kolleginnen Anweisungen und wendet sich dem Paar zu. In der Folge geschieht nichts besonders interessantes. Die junge Frau macht sich daran, ein Glas auf das Tablett des Kellners mit den roten Haaren zu stellen und es mit Mineralwasser zu füllen. Dann füllt sie noch andere Gläser auf.
Tom nimmt einen Schluck Cognac. Komisch, aber irgendwie hätte er jetzt Lust auf eine Zigarette. Er hat sich schon wieder so an das gelegentliche Rauchen gewöhnt, dass er sich ärgert. Er hat lange gebraucht, um von den Zigaretten loszukommen.
Evelyn hat sich mittlerweile an einen der kleinen Tische gesetzt. Der Mann, mit dem sie sich vorhin noch unterhalten hat, ist verschwunden. Sie sitzt alleine und hat einen Arm auf den Tisch gestellt, mit dem sie ihren Kopf abstützt. Ihre dunklen Locken fallen locker über ihre Schultern und den Rücken. Ihre Finger der anderen Hand spielen mit dem Verschluss ihres Abendtäschchens und ihr Blick ist ins Leere gerichtet.
Wie gerne würde Tom jetzt da unten bei ihr sitzen und ihr die Langeweile vertreiben. Aber – na ja. So kann sie sich gleich an ihr zukünftiges Leben gewöhnen, das morgen anfangen wird. Morgen, nachdem Tom mit der Mittags-Maschine in Richtung Westen aufgebrochen ist.
Sein Blick schweift von Evelyn über den Kellner mit seinen Problem-Gästen zurück zum Wasserglas. Es steht noch immer auf dem Tablett und wartet darauf, abgeholt zu werden. Jede Schnecke währe schneller als dieser Kellner.
Aber was ist das?
Tom lässt sein Cognacglas langsam sinken, das er gerade zum Mund führen wollte.
Das Wasser im Glas sprudelt.
Hat es vorher auch schon gesprudelt?
Tom verengt seine Augen. Angestrengt starrt er darauf. Er meint, das Zischen des Wassers bis zu sich hinauf zu hören.
Es ist Mineralwasser, ruft er sich in Erinnerung. Mineralwasser sprudelt immer.
Doch dann verändert sich das anfänglich harmlose Sprudeln in ein gewaltiges Schäumen.
Mineralwasser schäumt nicht! Mineralwasser schäumt nicht!
, dröhnt sein Hirn.
Toms Muskeln spannen sich. Fieberhaft suchen seine Augen nach einem Hinweis. Aber um den Tisch mit dem Wasserglas ist kein Mensch zu sehen. Die junge Frau von vorhin ist auch nicht mehr da. Niemand, der ein herrenloses Glas mit kühlem Mineralwasser hätte
vergiften
können.
Der Kellner hat das Problem mit den beiden Gästen
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