Der Kugelfaenger
würde mich freuen, wenn du zu mir kommen würdest.“
Es wird noch immer wie verrückt geklatscht.
Evelyn ist wie versteinert. Sie rührt sich nicht von der Stelle, selbst als Jean sie noch ein weiteres Mal durchs Mikro ausruft.
Der Applaus ebbt so abrupt wieder ab, wie er auch begonnen hat. Die Leute werden zusehends ungeduldiger. Wieso kommt Evelyn Williams nicht auf die Bühne? Man will sie endlich sehen.
Evelyn wird immer kleiner. Sie versteckt sich hinter einem breitschultrigen Mann. Sie kann jetzt unmöglich zu ihm vorgehen und gemeinsam mit ihm in die Kameras lächeln. Oder sollte sie vorlaufen und das eben Gesagte dementieren?
Jean hat mich verarscht. Er will um jeden Preis verhindern, dass ich aussteige.
Tom ist mehr als nur irritiert. „Ich dachte, du wolltest euren Vertrag auflösen.“
„Das dachte ich eigentlich auch“, gibt sie zurück.
Da vorne ist nun der Teufel los. Jean wendet sich seiner blassen Assistentin zu und tuschelt aufgeregt mit ihr. Die Kellner treten verlegen von einem Bein aufs andere und fragen sich wohl, wie sie dem Geburtstagskind aus der Patsche helfen können.
Du kannst mich mal, Jean. Löffel deinen Dreck gefälligst selbst aus.
Der grauhaarige alte Herr, der neben Evelyn steht, stupst sie leicht an ihrem Arm an und beugt sich zu ihr hinüber. Evelyn erschrickt, da sie denkt, ertappt worden zu sein.
Er raunt: „Also, ich finde ja, diese Dame könnte jetzt dann mal ruhig in Erscheinung treten. Was meinen Sie?“
Evelyn würde vor Wut am liebsten einen Schreikrampf kriegen, lächelt aber tapfer. „Ja, das meine ich auch. Aber hallo!“ Dann wendet sie sich wieder ab und hofft inständig, nicht doch noch erkannt zu werden. Das wäre ziemlich unangenehm. Aber das bleibt ihr zum Glück erspart. Jean eröffnet noch immer ziemlich durcheinander das Buffet und die Tanzfläche.
***
Plötzlich reißen Queen die Geburtstagsgäste am Buffet aus ihrer Lethargie. Sie schmettern ihr
We will rock you
aus den Boxen des DJs. Verwirrt bleiben die Leute, die sich auf der Tanzfläche befinden, stehen. Den anderen Personen, die sich am Buffet aufhalten, bleibt das Lachsbrötchen im Hals stecken.
Jean Duponts persönliche Assistentin sieht sich genötigt einzugreifen, bevor noch die ersten Gäste die Party verlassen. Im Grunde hat sie ja nichts gegen Queen, aber ihrer Meinung nach passt so etwas nicht auf die Geburtstagsparty eines sechzigjährigen Mannes im edlen Smoking. Jean Duponts wilde Rockerzeiten sind schon seit einigen Jahren vorbei.
Erst als sie sich lautstark beim DJ beschwert (dieser behauptet, Jean hätte ausdrücklich nach britischer Musik verlangt), kommen neue, endlich tanzbarere Klänge aus den Lautsprechern: U2s
With or without you
.
Evelyn wendet sich an Tom, der noch immer neben ihr steht. „Willst du tanzen?“ Sie sieht ihn auffordernd an.
„Mit
dir
?“ Er wirkt ein wenig überrascht.
„Mit wem denn sonst?“, lacht sie.
Er sieht unschlüssig aus.
„Willst du nicht?“ Sie blickt ihn fragend an.
„Ich …“ Er zögert. „Doch, ja, ich will schon“, sagt er dann. „Aber es liegt am Lied. Es gefällt mir nicht.“
Evelyn sieht ihn an, als wäre er jetzt vollkommen übergeschnappt. Tom weiß, dass sie weiß, dass er lügt.
Sie stehen eine Zeit lang schweigend nebeneinander und sehen den Leuten auf der Tanzfläche zu, die sich aneinandergeklammert über das Parkett bewegen.
„Gut“, sagt sie schließlich. „Was gefällt dir dann?“
„Ich mag Rap“, sagt er und entspannt sich etwas.
„Das wird es hier wohl eher nicht geben“, meint sie. „Magst du Eminem?“
„Ja, total. Du etwa auch?“
„Absolut“, sagt sie. „Ich steh aber auch auf Nirvana.“
„Ich weiß. Aber es überrascht mich.“ Er lächelt.
„Ich weiß.“ Sie grinst. „Mein Musikgeschmack überrascht die meisten. Aber ich mag auch Oasis.“
Bono ist verstummt, stattdessen beginnt Liam Gallagher gerade mit
Wonderwall
.
„Im Ernst?“
Sie nickt.
„Na gut, dann lass uns tanzen“, sagt Tom und zieht sie mit sich auf die Tanzfläche. Evelyn legt ohne zu zögern ihre Arme um seinen Nacken und beginnt, sich im Rhythmus der Musik mit ihm zu wiegen.
Tom achtet kaum auf seine Füße. Er wagt auch kaum noch zu atmen. So nah waren sie sich seit dem einen Abend in Berlin nicht mehr. Er mag ihre Nähe. Aber trotzdem oder gerade deswegen hat er sich vorgenommen, ihr nicht wieder so gefährlich nahe zu kommen. Und jetzt das. Er könnte sich in den Hintern treten.
Sie
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