Der Kugelfaenger
gelöst und erinnert sich nun an seine eigentliche Aufgabe, nämlich dafür zu sorgen, dass die Feiernden nicht verdursten. Er geht ohne Umwege zurück zum Buffettisch und ergreift das Serviertablett, auf dem noch immer Evelyns Wasserglas wartet.
Es schäumt nicht mehr. Und sprudeln tut es auch nicht.
Tom starrt das Glas an.
Aber es
hat
gesprudelt. Und das ist nicht normal. Da ist er sich ziemlich sicher. Alle seine Alarmsysteme laufen auf Hochtouren.
Als sich der Kellner in Bewegung setzt, beginnen auch Toms Beine zu arbeiten. Er lässt sein eigenes Glas mit dem letzten Rest Cognac auf dem Geländer stehen und ist mit schnellen Schritten an der Treppe, die nach unten in den Saal führt. Ein kurzer Blick genügt ihm, um sich zu orientieren. Evelyn sitzt noch an ihrem Platz und der Kellner ist damit beschäftigt, sich durch die Leute einen Weg zu bahnen.
Tom rennt die Treppe hinunter. Als er unten angekommen ist, hat er den Kellner aus den Augen verloren. Er drängt die Menschen um ihn herum zur Seite und wirft einen Blick über ihre Köpfe hinweg. Da erspäht er für einen Augenblick rote Haare vor ihm. Der Kellner ist nicht besonders groß, deshalb sieht man nur das Serviertablett mit dem Glas darauf so richtig, das er über dem Kopf trägt. Tom orientiert sich am Tablett und versucht, es nicht aus den Augen zu verlieren, was nicht besonders leicht ist, da sich ihm immer wieder Leute in den Weg stellen. Als sich der Kellner Evelyns Tisch nähert, wird er langsamer. Tom quetscht sich zwischen einem älteren Ehepaar hindurch. Da sieht er den rothaarigen Kellner plötzlich direkt vor sich. Er zögert nicht lange. Er bekommt ihn zu fassen und reißt ihn zu Boden. Das runde Tablett segelt einen Moment durch die Luft, dann stürzt es zu Boden, wie ein Komet, der auf die Erde zurast. Als es auf dem harten Marmor auftrifft, zerspringt das Glas in unzählige Scherben und Splitter und das Wasser spritzt fröhlich nach allen Seiten davon.
Er liegt halb auf dem sich heftig wehrenden Kellner und hält ihn fest.
Einen Moment ist es mucksmäuschenstill. Die Leute scharen sich um die beiden am Boden liegenden Gestalten.
„Was machst du da?“, sagt Evelyn mit nur mühevoll beherrschter Stimme. Sie spürt die Augen der anderen Festgäste auf sich ruhen.
Tom ist leicht außer Atem. „Das Wasser“, sagt er und sieht auf die herumliegenden Glassplitter. „Jemand hat etwas in dein Wasser gemischt.“
Die umstehenden Leute beginnen zu tuscheln.
Evelyn schüttelt langsam den Kopf, ohne jedoch Tom aus den Augen zu lassen. „Das war eine Kopfschmerztablette. Sonst nichts.“
Tom macht ein ziemlich blödes Gesicht. Er scheint zu überlegen, ob er Evelyns Aussage Glauben schenken soll oder nicht. Plötzlich leuchtet ihm alles ein. Das, was Evelyn dem Kellner unter ihm gegeben hat, war kein Geld, sondern eine Brausetablette. Niemand wollte Evelyn vergiften. Das ist Tom Beweis genug für seine zunehmende Paranoia.
Evelyn sitzt da, unfähig einen Entschluss zu fassen. Sie weiß nicht, was sie machen soll. Aufstehen und Tom eine Ohrfeige verpassen? Aufstehen, dem Kellner aufhelfen und sich entschuldigen? Oder aufstehen und einfach gehen?
Sie merkt, wie ihr alles zu viel wird. Zuerst Jean mit seiner hinterhältigen Behauptung, dann Jack, der verlogene Langweiler und jetzt auch noch Tom, dieser verdammte Bodyguard. Das ist für einen einzigen Abend zu viel für sie. Sie muss von hier weg. Ohne weiter nachzudenken, steht sie auf, packt ihr Abendtäschchen und läuft davon. Sie hält ihr Kleid hinten mit einer Hand zusammen; die restlichen Haarklammern haben sich auch schon verabschiedet. Sie drängt sich an den umstehenden Schaulustigen vorbei, schiebt und quetscht sich solange durch jede noch so kleine Lücke und steigt anderen Gästen auf die Füße, bis sie schließlich am Haupteingang ist. Ihre Flucht geht weiter durch die sich quälend langsam rotierende Drehtür, vorbei an den erstaunt Zigaretten rauchenden Türstehern und geradewegs in die Arme der wartenden Presseleute. Zack! Ein Blitz leuchtet auf, zahllose weitere folgen. Evelyn lässt ohne Rücksicht auf Verluste ihr hinten zusammengerafftes Kleid los, um mit der einzig freien Hand ihr Gesicht abzuschirmen. Sie rennt mit den Stöckelschuhen an ihren Füßen einfach weiter. Erst als sie die belebte Straße vor dem Hotel überquert, lässt das Blitzlichtgewitter nach.
Sie rennt jetzt nicht mehr und dreht sich auch nicht um. Sie zieht die Schuhe aus, atmet tief ein und
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