Der Kugelfaenger
„Bevor wir noch nässer werden.“
Evelyn blickt an sich hinab. „Weist du, irgendwann ist man so durchweicht, dass es auch schon egal ist.“
***
„Warte mal“, sagt er zu Evelyn, als sie die Auffahrt hochgehen. Sie bleibt im Regen stehen und dreht sich um.
„Was ist?“, sagt sie.
„Ich muss mit dir reden“, gibt er zurück.
„Okay“, meint sie. Sie stellen sich fröstelnd unterm Garagendach unter. „Also?“, sagt sie und blickt ihn aufmerksam an.
Tom räuspert sich. „Ich muss dir noch etwas sagen. Bevor ich wieder fliege.“
„Musst du oder willst du?“, sagt sie etwas zweifelnd, da er sich nicht besonders überzeugend anhört.
„Weder noch.“
Er hat sich während ihres schweigsamen Nachhausewegs gut überlegt, ob er Evelyn überhaupt sagen soll, was er ihr zu sagen hat. Nach langem hin und her hat er sich schließlich dafür entschieden. Jetzt ist er sich allerdings seiner Sache nicht mehr so sicher.
„Wenn du nicht willst, musst du es mir auch nicht sagen“, meint sie. „Aber entscheide dich endlich mal, weil mir nämlich schweinekalt ist. Ich will reingehen.“
Er mag es gar nicht, wenn man ihn zu etwas drängt, aber im Grunde hat sie natürlich recht. Es ist wirklich kalt und sie sind beide durchnässt bis auf die Haut. Er vergräbt seine Hände in den Hosentaschen, blickt zu Boden und seufzt. „Du weißt ja, dass ich wegen Körperverletzung und so angezeigt wurde.“
„Was hat das jetzt mit dem zu tun, was du mir sagen willst?“, fragt sie und klappert mit den Zähnen.
„Nichts und dann auch wieder vieles“, meint er. Er schweigt eine Weile, dann fährt er fort. „Ich habe den Bericht gefunden, den dein Bekannter über mich angefertigt hat“, sagt er.
Evelyn sieht ihn an und ihre Augen werden schmal. „Du hast in meinen Sachen herumgewühlt?“
„Nur ein bisschen“, sagt er. „Ich wollte wissen, was man über mich so herausfinden kann. Und außerdem war dein Versteck hinter den Handtüchern im Badezimmer nicht gerade besonders originell.“ Er grinst ein wenig. Dann wird er wieder ernst. „Der Typ hat gründlich recherchiert, das muss man ihm lassen.“ Er wird etwas nachdenklicher. „Aber in seiner Recherche fehlt ein wichtiges Detail, das ist das Einzige, das ich bemängeln muss.“
„Es fehlt etwas? Wie meinst du das?“
„Wenn du meinst, du kennst die ganze Wahrheit über mich, Evelyn, dann muss ich dich leider enttäuschen. Du weißt nicht alles über mich und meine Vergangenheit. Dein Kumpel hat bei seinen Nachforschungen etwas außer Acht gelassen.“
„Du meinst, er hat etwas übersehen?“ Sie klingt zweifelnd.
Tom schüttelt den Kopf. „Nein, übersehen hat er es mit Sicherheit nicht. Dafür ist es zu groß. Er hat es weggelassen, um dich nicht noch mehr zu beunruhigen. Der Kerl ist ein echter Freund, glaub mir.“ Er lächelt leicht. „Aber ich finde, du solltest wissen, was vor einem halben Jahr passiert ist.“
Evelyn wird zunehmend nervöser. „Was genau meinst du damit?“
„Lass es mich erzählen“, sagt er. Dann vergräbt er seine Hände wieder in seinen Hosentaschen, zieht den Kopf etwas ein und überlegt einen Moment. Er presst seine Lippen so fest aufeinander, dass sie ganz weiß werden. Er weicht Evelyns Blick aus und als er zu sprechen beginnt, ist seine Stimme rau. „Vor einem halben Jahr habe ich für einen Mann als Bodyguard gearbeitet. Man hat ihm Morddrohungen geschickt – da waren auch ein paar wirklich heftige Sachen dabei, kann ich dir sagen. Eines Tages hat ihn also seine Frau angerufen, er müsse schnell nach Hause kommen, seiner Tochter wäre etwas passiert.“ Tom schüttelt den Kopf. „Er wollte nicht darauf warten, bis sein Wagen vorgefahren war. Er ist einfach rausgerannt und hat sich das nächstbeste Taxi geschnappt und dann … dann …“ Er stockt und schüttelt wieder den Kopf, diesmal allerdings heftiger, so als wäre das alles für ihn total unverständlich. In den Hosentaschen gräbt er seine Fingernägel fest in die Handballen und blickt zu Boden und es ist, als würde er mit seinen Schuhen sprechen. „Als ich gemerkt habe, dass er auf dem Weg nach draußen ist, bin ich ihm sofort nachgerannt. Ich habe ihm hinterher gebrüllt. Aber ich konnte ihn nicht davon abhalten, in das Taxi zu steigen. Er hat es einfach getan und nicht auf mich gehört.“ Wut und Verzweiflung sprechen aus seiner Stimme.
Das was er erzählt, ist alles etwas wirr, aber in Evelyns Augen flackert etwas auf. Sie hat davon
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