Der Kugelfaenger
Sie sieht auf ihre Schlappen. „Mir wäre gleich wohler zumute.“ Dann sieht sie wieder auf. „Bitte?“
Tom könnte sich etwas Schöneres vorstellen, als den Rest der Nacht auf der ungemütlichen Couch im Wohnzimmer zu verbringen. Aber da sein Bett eigentlich genauso hart und unbequem ist, würde es keinen großen Unterschied machen, wo er schläft. Und überhaupt – wer könnte so schöne Augen wie die Evelyns schon enttäuschen?
„Kein Problem“, sagt er daher und lächelt leicht.
„Danke“, sagt sie und lächelt zurück. „Wissen Sie, vorher konnte ich das ganze ausblenden. Jetzt, da Sie da sind, weiß auch mein Gehirn, dass es ernst ist. Jetzt habe ich Angst.“ Sie dreht sich um und verschwindet im ersten Stock.
Tom sieht ihr eine Weile nach. Er hätte ihr gerne gesagt, dass sie keine Angst zu haben braucht. Aber dann hätte er sie angelogen. Er geht ins Wohnzimmer und wirft einen kurzen Blick zum Fenster hinaus. Das Gewitter ist leichter geworden und der Regen hat ebenfalls ein wenig nachgelassen. Aber der Wind biegt noch immer die Bäume von einer Seite zur anderen und zerrt an der Hecke, die das Grundstück umgibt.
Er zerrt sich seine nassen Sachen vom Leib, macht dann das Licht aus und legt sich nur in Unterhosen auf das Sofa. Er wickelt sich in eine kuschelige Wolldecke ein und starrt im Dunkeln die Zimmerdecke an und wartet darauf, dass ihn die Müdigkeit übermannt. Plötzlich ist ihm, als könnte überall im Zimmer jemand lauern und nur darauf warten, dass er einschläft. Er spürt das dringende Bedürfnis, unter die Couch, auf der er liegt, zu sehen, um sicher zu sein, dass dort nichts außer Staub liegt.
Ich werde wohl langsam paranoid, denkt er mit einem Stirnrunzeln. Er knurrt, schüttelt den Kopf und beschließt, liegen zu bleiben und nicht unter das Sofa zu blicken.
Bei jedem Knacken, das das alte Haus von sich gibt, schreckt er hoch. Irgendwann fällt er in einen unruhigen Schlaf.
9. Kapitel
Samstag, 17. Juli
Als Tom eines seiner Augen öffnet, ist er sich zunächst nicht so ganz sicher, wo er sich befindet. Oder wie spät es ist. Es ist zwar eindeutig schon hell, aber es ist ziemlich düster. Er blinzelt. Dann erst fällt sein Blick auf das monströse Regal, das die ganze Wand neben ihm einnimmt und der Teppich mit den schreiend bunten Klecksen sticht ihm ins Auge. Jetzt wird ihm klar, wo er sich befindet. Und was letzte Nacht so alles los war.
Als er sich auf der Couch aufrichtet, fürchtet er, sein Rücken könnte in zwei Teile brechen. Der Schmerz zieht von seiner Halswirbelsäule bis zum letzten Wirbel an seinem Steißbein. Außerdem hat er einen steifen Nacken, ein Arm und ein Bein sind ihm eingeschlafen und kribbeln nun wie eine ganze Armee verrückt gewordener Waldameisen.
Ihn fröstelt leicht. Für einen Moment legt er seinen Kopf in den Nacken und starrt die Zimmerdecke über ihm an. Als er den Rücken gerade macht, durchdringt ihn der Schmerz von neuem.
Oh Gott.
Er fühlt sich auf einmal um Jahrzehnte gealtert. Jetzt kann er glauben, dass er in ein paar Monaten vierzig wird.
Dann wickelt er sich in die flauschige Wolldecke, erhebt sich und geht zum Fenster. Die alten Sprungfedern der Couch haben sich während der kurzen Nacht fröhlich in seinen Körper gebohrt. Aber das, was er da jetzt vor dem Fenster sieht, hebt seine Laune schlagartig. Nicht, dass er schlechtes Wetter lieben würde, aber heute mag er den vielen Regen schon. Bedeutet es doch, dass seine Arbeit als Gärtnergehilfe heute ins Wasser fällt. Aber so richtig ins Wasser. Sie ertrinkt sozusagen in den Wasserpfützen, die sich auf dem Rasen und zwischen den Blumen gebildet haben und wird dann erst wieder aufgenommen werden können, wenn die ganze Natur draußen wieder etwas abgetrocknet ist.
Hoffentlich hält der heutige Wetterzustand noch möglichst lange an! Evelyn hat gestern Abend nämlich verkündet, was ihres Erachtens noch alles getan werden muss.
Mit einer schwungvollen Bewegung reißt er das Fenster auf. Ein kühler Schwall Morgenluft kommt ihm entgegen und feine Regentropfen klatschen in sein Gesicht. Tom atmet tief ein. Herrlich! Er hat sich selten zuvor so über graue Wolken, verwaschene Bäume und den Duft regennasser Erde gefreut.
Er schließt das Fenster erst wieder, als ein kräftiger Windstoß ihm durch die zerzausten Haare fährt und im Wohnzimmer herumwirbelt.
***
Das Telefon im Flur klingelt, als Evelyn gerade dabei ist, noch im Schlafanzug, den Frühstückstisch zu
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