Der Kugelfaenger
ungeduldig.
Tom belegt sich ein Brötchen mit zwei Scheiben Käse und nimmt einen herzhaften Bissen.
„Ich will aber nicht alleine zu Hause bleiben!“
Evelyn lässt den Kühlschrank zufallen und setzt sich neben Catherine auf einen Stuhl. „Dann hole ich George.“
„Ich mag George nicht.“
„Das weiß ich. Es wird dir aber nichts anderes übrig bleiben.“ Sie steht auf, geht zum Telefon in den Flur und ruft ihren Nachbarn an. Als sie schon wenige Sekunden später ins Esszimmer zurückkommt, meint sie: „Jetzt haben wir ein Problem. Dieser versoffene Idiot geht nicht an sein Telefon.“
Tom legt das angebissene Brötchen auf seinen Teller. „Vielleicht kann ich ja helfen“, schlägt er vor.
Evelyn runzelt die Stirn. „Wie wollen Sie denn bitteschön helfen?“
Tom lächelt leicht. Dann meint er, als wäre es das Normalste überhaupt: „Warum holen Sie nicht jemand anderes? Eine Nachbarin zum Beispiel.“
Evelyn sagt nichts, sondern sieht ihn nur an.
„Sie haben doch genügend Nachbarn. Vielleicht die von gegenüber …“
„Die sind schon seit einem knappen Monat im Ausland“, schmettert Evelyn seinen Vorschlag ab.
„Dann von nebenan.“
„George geht nicht an sein Telefon, schon vergessen?“
„Ich meinte auch nicht ihn, sondern die auf der linken Seite.“
Evelyn runzelt die Stirn. „Das ist die alte Witwe Rosewood.“
„Die kommt mir nicht ins Haus!“, kreischt Catherine.
„Dann kommen Sie eben zu ihr“, schlägt Tom vor.
„Niemals!“, brüllt Catherine und verschränkt ihre Arme wie ein trotziges Kind. „Die hat letzten Sommer meine Blumen nicht gegossen, als wir im Urlaub waren.“
„Wie wär’s dann mit jemand anderem?“ Tom geht die Diskussion zunehmend auf die Nerven.
Evelyn schüttelt den Kopf. „Das können Sie vergessen“, sagt sie. Dann dreht sie sich zu ihrer Tante und nimmt deren Hände zwischen die ihren. „Willst du mitkommen?“
Catherine sieht ihre Nichte zuerst etwas misstrauisch an, dann erscheint auf ihrem Gesicht ein unübersehbares Strahlen, obwohl sie sich nach Kräften bemüht, sich nichts anmerken zu lassen. „Wenn ich dich nicht störe, Liebes“, haucht sie unterwürfig.
***
Evelyn zieht sich hastig um, dabei achtet sie nicht wirklich darauf, was sie aus dem Kleiderhaufen in der Ecke ihres Zimmers zerrt und anzieht. Das Ergebnis ist, dass sie aussieht, als hätte sie im Grunde überhaupt keine Ahnung von Mode. Zu ihrem extrem schlabberigen giftgrünen T-Shirt, das ihre Brust noch flacher wirken lässt als sonst, trägt sie eine ebenso weite Jogginghose in Schwarz, flache Ballerinas und eine rote Regenjacke. Dann setzt sie sich zur Krönung des ganzen noch eine riesige, dunkle XXL-Sonnenbrille auf, die fast ihr gesamtes Gesicht verdeckt.
Tom kann nur noch staunen, als sie so zur Haustüre raus geht. Er ist an ihre Erscheinung mittlerweile schon gewöhnt, aber er hätte wirklich nicht gedacht, dass sie sich in diesem Look auch auf die Straße wagen würde.
„Tarnung“, sagt sie nur, als sie sein erstauntes Gesicht sieht.
Faris, der Taxi fahrende Punk, hält mit quietschenden Reifen vor der Hofeinfahrt.
„Schön, dass Sie wieder mal mitfahren, Sir“, sagt er, als wäre es keine drei Tage her, dass Tom das erste Mal in seinem Taxi gesessen hat.
„Freut mich, Sie wieder zu sehen“, sagt Tom.
Evelyn kann nur verwundert von einem zum andern sehen. Dann hat sie genug im Regen gestanden und sie möchte gerade ihre Hand nach dem Türgriff ausstrecken, um ihrer Tante die Tür zu öffnen, als Tom ihr zuvor kommt. „Einen Moment noch“, sagt er hastig und öffnet nun selbst die hintere Tür des Taxis. Dann beugt er sich hinein, sieht sich um und tastet die Polster ab.
„Was machen Sie da, Sir?“ Faris hat sich umgedreht und sieht seinen Fahrgast argwöhnisch an.
„Ich überprüfe Ihr Taxi.“ Tom lässt sich nicht aus der Ruhe bringen.
„Und wozu soll das gut sein?“ Faris klingt, als würde er gleich aus seinem Taxi springen.
„Ich bin Bodyguard“, sagt Tom zur Erklärung, kniet sich neben das Taxi auf die nasse Straße und wirft auch einen Blick unter den Wagen. Als er anschließend auch noch den Kofferraum öffnet, beäugt ihn Faris so misstrauisch, als würde er überlegen, ob er nicht einfach den Motor anlassen und davonbrausen sollte.
Tom beendet seine Untersuchung und hält stattdessen Evelyn und Catherine die Tür auf. „Das ist Routine“, sagt er in versöhnlichem Tonfall.
Evelyn ist das ziemlich peinlich.
Weitere Kostenlose Bücher