Der Kugelfaenger
verhindern, dass er ärgerlich wird. „Können Sie sich vorstellen, was Sie mir für einen Schrecken eingejagt haben?“, sagt er. „Ich hatte alle möglichen schrecklichen Bilder vor mir!“
„Es ist jemand im Haus“, kommt es stoßweise aus Catherine heraus und klammert sich dabei an die Hand ihrer Nichte. Auch Evelyn scheint sich nicht so sicher zu sein, dass sie die einzigen im Haus sind.
Toms Ärger ist so schnell verraucht, wie er gekommen ist. „Da unten ist niemand“, sagt er. „Ich habe niemanden gesehen.“
„Haben Sie das Haus durchsucht?“, kommt es von Evelyn. Sie hat sich bei weitem besser im Griff als ihre Tante, ist aber dennoch bleich im Gesicht.
Tom betritt das Zimmer und nickt. „Ich habe überall nachgesehen. Es ist niemand hier.“, sagt er beruhigend. Er zieht seine nasse Lederjacke aus und legt sie über einen Stuhl. Er ist trotz des eigentlich nur kurzen Aufenthalts im Regen ziemlich durchnässt und ein Bein seiner Jeans ist voller Schlamm. Langsam schwindet das Adrenalin in seinen Adern und ihn beginnt zu frösteln.
„Bitte schauen Sie noch mal nach.“ Catherine fleht ihn schon fast an. Ihre Augen füllen sich erneut mit Tränen. „Es ist bestimmt jemand hier“, sagt sie. „Wir haben es doch
gehört
.“
Tom geht vor Catherine und ihrer Nichte in die Hocke und sieht sie prüfend an. „Was haben Sie gehört?“
„Sie dachte, sie hat jemanden im Haus gehört“, sagt Evelyn und legt einen Arm um ihre Tante. „Der Einbruch letzte Nacht war ziemlich gruselig. Und hier knackt, knarrt und quietscht es überall. Und das Gewitter macht es auch nicht besser.“
Tom senkt seinen Kopf und fasst dann einen Entschluss. „Okay. Ich werde noch einmal runter gehen und nachsehen. Einverstanden, Mrs. Williams?“
Catherine beginnt wieder zu wimmern und drückt sich an Evelyn.
Tom nimmt seine Pistole hervor und zeigt sie Catherine Williams. „Die nehme ich mit“, sagt er. „So ist alles absolut sicher. Okay?“
Die alte Dame sieht ihm fest in die Augen. Dann nickt sie hastig.
Er macht einen Rundgang durchs Haus. Seine Finger krampfen sich bei weitem nicht mehr so fest um den Abzug der Waffe wie beim ersten Mal. Als er nach fünf Minuten schon wieder zurück ist und vor ihrem Bett steht, auf dem sie noch immer sitzt, ist Catherine nicht besonders zufrieden. Ihrer Meinung nach hat er das Haus viel zu nachlässig unter die Lupe genommen. Er ist ja wohl nicht umsonst wieder so schnell hier.
Also macht er sich noch einmal auf den Weg, durchschreitet jedes Zimmer einzeln, zieht den Duschvorhang zur Seite, sieht unter das Sofa und am Ende sieht er sogar im Backofen nach. Doch auch das genügt Catherine nicht. Sie verlangt, dass er auf dem Dachboden nachsehen soll, doch außer nassen Flecken am Dach, kann er nichts sehen. Zum Schluss zwingt sie ihn, auch im Keller nachzusehen.
Als er wieder aus dem Keller kommt, kommt Evelyn gerade die Treppe vom ersten Stock herunter. Sie bleibt auf der vorletzten Stufe stehen und sieht Tom an. Sie hat nur ihr graues Nachthemd an und ihre Füße stecken in Hausschuhen.
„Sie schläft“, sagt sie und lächelt erleichtert. „Die Beruhigungstabletten wirken.“
„Das ist gut“, meint Tom und ist ebenfalls froh. Er hat große Hoffnung, dass ihn jetzt niemand mehr durchs Haus jagt.
„Es wird immer schlimmer mit ihr“, sagt sie kummervoll. „Damit macht sie mich auch schon ganz verrückt.“
Tom nickt verständnisvoll.
„So ist das nun mal“, sagt sie und atmet tief durch. Dann sieht sie Tom wieder an. „Vielen Dank, Tom“, sagt sie. Sie sieht müde aus. Kein Wunder. Es ist drei Uhr morgens.
„Schon in Ordnung“, sagt Tom und winkt ab. „Das ist Teil meines Jobs.“
„Ich bewundere Sie“, sagt sie mit allem Ernst in der Stimme.
Er ist so verblüfft, dass er nicht gleich reagieren kann. Er weiß, dass sie ihn nicht besonders gut leiden kann und dass es sie kaum stören würde, wenn er seine Sachen wieder packen würde, aber dass sie ihn bewundert, das wusste er bis jetzt noch nicht.
„Wie meinen Sie das?“, bringt er schließlich hervor.
„Na, Ihr ganzer Job beeindruckt mich. Vierundzwanzig Stunden am Tag auf Abruf bereit stehen. Ich könnte das nicht.“
Er weiß nicht, was er erwidern soll. Seltsam. Er ist gerührt.
Evelyn macht einen Schritt die Treppe hoch. Dann bleibt sie wieder stehen und dreht sich noch einmal um. „Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn Sie heute … im Wohnzimmer auf dem Sofa schlafen würden?“
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