Der Kugelfaenger
dunkelste Jeans, die er finden kann, ein weißes Hemd (fast knitterfrei), sein schwarzes, schon ein wenig ausgeblichenes Jackett und seine fast ganz neuen Sneaker. Dann stellt er seine Tasche auf dem Bett ab, räumt sich mit den Füßen den Weg zur Tür frei und spaziert hinüber zum Haus.
***
Dass irgendetwas in der Luft liegt, wird ihm in dem Augenblick klar, als Catherine Williams die Tür zur Küche öffnet. Tom ist nicht wie üblich zur Haustür reinspaziert, sondern ist einmal ums Haus gelaufen, weil sich aufgrund des vielen Regens der letzten Tage vor der Verandatreppe eine riesige, schlammige Pfütze gebildet hat, die er lieber meidet.
Ungewöhnlich daran ist, dass sie schon die Tür öffnet, noch bevor er überhaupt an die Scheibe klopfen kann, fast so, als hätte sie am Fenster gelauert, um ihm die Last des Anklopfens abzunehmen. Das zweite, das ihm ungewöhnlich vorkommt ist, dass sie beinahe flüstert und bei genauerem Hinsehen ziemlich nervös wirkt. Aber Tom sieht nicht genauer hin, das ist das Problem.
„Sie haben bestimmt schon einen riesigen Hunger“, sagt sie in diesem Gemisch aus Flüstern und Hibbeligkeit, als sie in der Küche sind.
Nein, eigentlich hat er keinen Hunger. Vor Flügen bekommt er nichts hinunter, höchstens etwas Flüssiges wie Kaffee oder eine Schachtel Beruhigungspillen. Das weiß niemand aus seinem näheren Umfeld und er würde das auch nicht mal unter Folter zugeben.
„Danke“, sagt er, „aber ich bin nicht hungrig. Aber eine Tasse Kaffee wäre nicht schlecht.“
„Kommt sofort“, zwitschert sie und macht sich an der Kaffeemaschine zu schaffen. Dreißig Sekunden später stellt sie eine bis zum Rand hin gefüllte Tasse vor ihm ab. Dann rauscht sie wieder zur Küchenzeile und kommt mit einer Dose zurück, die sie vor Tom öffnet.
„Aber ein kleines Stückchen Kuchen müssen Sie schon essen“, sagt Catherine und hält ihm bröselige Scheiben Zitronenkuchen unter die Nase.
Tom schüttelt es innerlich. Er hat jetzt fast jeden Tag irgendetwas in Form von Kuchen gehabt und so steht ihm der schon bis obenhin.
„Wann haben Sie den gebacken?“, fragt er, um etwas Zeit zu schinden.
Catherine zwinkert ihm zu. „Den habe ich eingefroren, für den Fall, dass Evelyn mir das Backen verbietet.“
Erst bei diesem Satz fällt ihm auf, was hier fehlt. „Wo ist Evelyn?“, fragt er.
„Sie macht sich gerade fertig“, sagt Catherine, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, so als hätte sie diesen Satz schon hunderte Male zu einem Bodyguard sagen müssen, der ihr gegenüber am Küchentisch hockt und schwarzen Kaffee schlürft, der ihm nicht schmeckt, weil er keinen schwarzen Kaffee mag.
„Ach so.“ Desinteressiert greift er nach der Zeitung, die auf dem Stuhl neben ihm liegt und legt sie wieder weg, als er sieht, dass sie noch von vorletzter Woche ist. Dann unterhält sich Catherine mit ihm über die verschiedensten Themen, bis er wieder müde wird und er endlich einen Blick auf die Uhr werfen kann, als sie ihm eine dritte Tasse Kaffee bringt.
Es ist schon fast neun Uhr.
Tom sitzt also schon über eine halbe Stunde mit Catherine am Tisch und plaudert über belangloses Zeug, während Evelyn sich fertig macht. Das kommt ihm reichlich lange vor. Er weiß ja nicht, wie lange Frauen im Durchschnitt brauchen um sich ‚fertig’ zu machen, aber eine halbe Stunde findet er angemessen. Nur bei Evelyn kann er nicht glauben, dass es dreißig Minuten dauert, bis sie ihre Jogginghose hervorgekramt und mit einem ihrer grässlichen T-Shirts kombiniert hat. Sie setzt sich doch sowieso nicht mit der Frage auseinander, was sie anziehen soll oder was zusammenpasst. Das müsste in ihrem Fall doch ruckzuck gehen. Was zum Teufel treibt sie also so lange?
„Sind Sie sicher, dass sich Ihre Nichte noch immer anzieht?“, fragt er mit einer gehörigen Portion Skepsis, die durchaus angebracht ist.
„Aber natürlich“, meint Catherine liebenswürdig, wirkt dabei aber nicht mehr so selbstsicher wie zuvor.
„Sicher?“, fragt er schärfer als beabsichtigt.
„Ja, eigentlich schon“, meint sie unsicher.
„
Absolut
sicher?“
„Na ja …“, sagt sie und schlägt die Augen nieder.
„Was ist mit Evelyn?“, fragt er beunruhigt und steht abrupt von seinem Stuhl auf, wobei er beinahe die Kaffeetasse umwirft.
„Nichts“, meint Catherine hastig. „Nichts, worüber Sie sich Sorgen machen müssen.“
„Wo ist sie?“, möchte er wissen und ist schon auf alle möglichen Antworten
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