Der Kult - Cordy, M: Kult - The Colour of Blood
änderte und sie zum Turm trug, dessen konischer Helm vor dem hellen Mond wie eine schwarze Speerspitze gegen den Himmel ragte.
Sorcha lief gerade am großen Saal vorbei, als zwei Wächter aus dem Brückenhäuschen traten und in ihre Richtung kamen. Sie duckte sich in die Schatten und hielt den Atem an. Der Tag war angebrochen und es wurde langsam hell. Die beiden Wächter drehten um und kehrten zur Brücke zurück. Sorcha wartete, bis sie in ihrem Häuschen verschwunden waren, doch als sie gerade aus den Schatten heraustreten und über den vom Mondlicht erleuchteten Platz laufen wollte, hörte sie links von sich jemanden aus einer der Hütten kommen. Sie hielt den Atem an, presste sich gegen die Holzwände und lugte um die Ecke des großen Saals. Ein Mann schritt nur wenige Meter entfernt an ihr vorüber. Er trug etwas Großes über seiner rechten Schulter. Zuerst hielt sie es für einen Sack oder einen Teppich, doch dann trat er ins Mondlicht und sie erkannte, dass das Bündel ein Mensch war.
Als sie es wieder wagte zu atmen, roch sie einen leichten Gestank in der Luft, doch im selben Moment war er auch schon wieder verschwunden. Sorcha schaute dem Mann nach, das Blut pochte ihr in den Schläfen. Er hatte eine Frau über seine Schulter geworfen, ihre Arme hingen schlaff herunter. Noch bevor sie ihr Gesicht und die Creolen sah, wusste Sorcha, dass es sich um Eve handelte. Ihre Augen starrten Sorcha mit leerem Blick an. Sorcha verwarf alle Gedanken daran, in ihre Hütte zu fliehen, und folgte dem Mann um den großen Saal herum, sorgsam darauf bedacht, nicht von ihm entdeckt zu werden. Als er aus ihrem Blickfeld verschwand, rannte sie los und lugte um die Ecke, wobei sie beinahe über die Treppen zum Haupteingang gestolpert wäre. Vor sich erkannte sie den sich schlängelnden Pfad und wusste instinktiv, wohin er ging. So leise und unauffällig wie möglich folgte sie ihm. Am Fuß des Turms blieb er stehen und legte Eve auf den Boden. Als er den Kopf drehte und zurückschaute, sah Sorcha sein Gesicht im Mondlicht. Der Schock war so groß, dass sie sich eine Hand auf den Mund pressen musste, um nicht laut aufzuschreien. Sie musste sich irren. Das konnte einfach nicht sein.
Wie konnte der Eindringling, der versuchte hatte, sie in Portland zu entführen, hier sein? Warum trug der Mörder, den sie in den drei Todesechos an den Tatorten gesehen hatte, Eve in das verschlossene Observatorium? Sorcha erinnerte sich wieder an die Nacht in Tranquil Waters, als er sie über seine Schulter geworfen hatte, betäubt und hilflos wie Eve. Damals hatte Fox sie gerettet. Doch jetzt war er nicht da, um ihr zu helfen.
Sorcha spielte mit dem Gedanken, ihren Vater zu holen. Er kontrollierte diesen Ort. Er konnte dem hier ein Ende bereiten. Aber dazu fehlte die Zeit. Sie suchte den Boden unter den Bäumen ab und griff nach einem kräftigen Ast, dann verließ sie ihr Versteck und rannte zum Turm. Während der Mann sich darauf konzentrierte, die richtigen Zahlen einzugeben, hob sie den Ast und schlug ihm so fest sie konnte gegen den Kopf. » Lass sie in Frieden!«, rief sie. Der Ast zerbrach an seinem Schädel wie ein Streichholz, und der Mann drehte sich um, überrascht aber nicht verletzt. Er rieb sich den Kopf und verzog das Gesicht. Dann warf er Sorcha zu Boden und setzte sich auf sie, was ihr den Atem raubte. Sein Geruch durchflutete ihre Nasenlöcher. Sie schlug und trat um sich, aber er war zu stark. » Hilfe«, schrie sie. » Hilfe!«
Wie als Antwort auf ihre Schreie hörte sie eine barsche Stimme bellen: » Runter von ihr!«, dann einen scharfen Knall, als eine Reitpeitsche durch die Luft zischte und ihren Angreifer auf den Rücken traf. Das tat sie noch zwei weitere Male. » Runter von ihr.« In der kehligen Stimme schwang so viel Wut, dass Sorcha sie nicht sogleich erkannte. Als sie aufsah, stand der Seher über ihr und schlug auf ihren Angreifer ein. Bei ihm standen mindestens vier Wächter. » Zieht ihn runter von ihr und bringt ihn rein. Eve auch.« Erleichterung und Dankbarkeit durchströmten sie, als ihr Vater seine Hand ausstreckte und sie auf die Beine zog. Er hatte sie gerettet. Sie war in Sicherheit. Doch als sie ihm danken wollte, wandte er sich mit finsterem Blick ab.
Die Wächter brachten sie in die privaten Räume des Sehers. Sie legten Eve auf das Sofa im Hauptraum, und Sorcha hielt ihre Hand. Sie fragte sich, wie lange die Wirkung des Betäubungsmittels wohl anhalten würde. Den Mörder ließen die Wächter am
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