Der Kult - Cordy, M: Kult - The Colour of Blood
weswegen er sie hinzugezogen hatte. Der Titel lautete: Das Echo der Geschichte: Die Bedeutung von Transkommunikation und molekularer Erinnerung bei der Wiederentdeckung der Vergangenheit. » Steht die Antwort hier in Howards Paper?«
Sie lächelte. » Er war wohl doch interessanter, als du gedacht hast, nicht wahr, Nathan?«
» Besonders mit deinen Ergänzungen. Könntest du Jane kurz erklären, worum es da geht?«
Samantha räusperte sich. » In diesem Paper geht es um Transkommunikation, womit man versucht, die Aufnahme und Wiedergabe von Schall in Gebäuden, die aus natürlichen Materialien errichtet wurden, zu erklären. Die Thesen der Transkommunikationstheorie lassen sich aber nicht nur auf Schall anwenden, sondern auch auf optische und andere Reize. Mittlerweile wissen wir, dass es auf dieser Welt eine ganze Symphonie von Tönen gibt, die das menschliche Gehör nicht wahrnehmen kann. Hunde zum Beispiel können höhere Frequenzen wahrnehmen als wir. Wir wissen auch, dass es Töne gibt, die manche Menschen hören, andere aber nicht. Vielleicht habt ihr schon mal von dem Ultraschall-Sender The Mosquito gehört. Er sendet ein sehr hochfrequentiges Summen aus, das nur Teenager hören können und das herumlungernde Jugendliche vertreiben soll.
» Moderne Soundtechnologie kann mittlerweile sogar Töne aufnehmen, die noch weiter im Bereich des Unhörbaren liegen. Mithilfe von elektromagnetischer Energie ist es uns gelungen, die submolekularen Teilchen in alten Gemäuern zu stimulieren. Dabei haben wir akustische Formen entdeckt, bei denen es sich nicht einfach nur um weißes Rauschen handelt, sondern die mit den Aufnahmen natürlicher Klänge übereinstimmen. In Okinawa soll es einigen japanischen Wissenschaftlern sogar gelungen sein, menschliche Stimmen wiederzugeben, die in den Mauern eines alten Shinto-Tempels konserviert waren.
Bisher ist man sich aber noch nicht einig, wie der Schall in der Erinnerung der Teilchen eines Gebäudes konserviert wird. Einige Wissenschaftler glauben, dass alle Klänge automatisch gespeichert werden, andere denken, dass nur diejenigen mit einer besonderen Tonlage oder Resonanz aufgenommen werden. Man ist sich jedoch darüber einig, dass wie beim Brennen einer DVD oder anderer digitaler Medien sehr viel Energie nötig ist, um Erinnerungen in die Quantenteilchen von Materie zu brennen. Woher diese Energie wiederum kommt, ist noch unklar.« Samantha lächelte. » Aber das, was Sie erlebt haben, Jane, könnte unter Umständen dabei helfen, dieses Rätsel zu lösen.«
» Aber wie?«, fragte diese.
» Ja, wie soll das die Energiequelle erklären?«, fragte Fox. Seine Tante war so nüchtern und sachlich, dass dieser Unsinn bei ihr schon beinahe wieder logisch klang. Doch wie konnte es seiner Patientin helfen, ihre Erinnerung und ihre Identität zurückzuerlangen, ohne die, so vermutete Fox, Jane Does seltsame Fähigkeit ein Rätsel bleiben würde.
» Eine der großen Unbekannten ist die Frage: Was passiert mit der Lebensenergie eines Menschen, wenn er stirbt?«, erklärte Samantha. » Das ist eine der Grundfragen der Physik. Ich spreche hier nicht von Metaphysik, Geistern oder der Seele, sondern einfach vom Übergang der Energie. Energie kann nicht einfach so verschwinden. Sie muss irgendwo hinfließen. Eine Theorie, die immer mehr Anhänger findet, bezieht sich auf Untersuchungen zu den akustisch bemerkenswerten neolithischen Steingräbern von Maes Howe auf den Orkneys. Sie besagt, dass unsere Lebensenergie im Augenblick des Todes eine Art Brandfleck hinterlässt, ein unsichtbares, aber unauslöschliches Echo, eingeätzt in die sie umgebende Materie. Bei einem sanften, friedlichen Tod versickert diese Energie gemächlich und hinterlässt nur ein leises, kaum hörbares Echo. Aber ein emotional gewaltsamer und schmerzhafter Tod wie ein Mord oder Selbstmord führt zu einem explosiveren Übergang der Lebensenergie, einem gewaltigen Eindruck sozusagen, was zu einem nachhaltigeren Echo – oder einer intensiveren Erinnerung – in den subatomaren Teilchen führt. Diese Energieexplosion würde erklären, wie Schall und andere ähnliche Stimuli in das Gedächtnis eines Gebäudes eingebrannt werden. Und sie würde auch erklären, warum Janes Halluzinationen alle vom Tod handeln.«
Fox ging in Gedanken noch einmal das Experiment mit den Briefumschlägen durch. » Das würde ebenfalls erklären, warum Jane den Todesfall in Zimmer 222 nicht gespürt hat. Jack Lee ist friedlich im Schlaf
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