Der Kult - Cordy, M: Kult - The Colour of Blood
der älteren Dame hineingegangen war, und es sah so aus, als wären die beiden allein im Haus. Er kämpfte gegen den Drang an, sofort zu handeln, aber er musste den richtigen Moment abpassen. Er beobachtete, wie der Polizist in den ersten Stunden vor dem Haus auf und ab ging und sich dann ins Auto setzte, um Kaffee aus einer Thermoskanne zu trinken. Die entspannte Körperhaltung des Polizisten sagte deutlich, dass er keinen Ärger erwartete. Warum sollte er auch? Er hatte keinen Grund davon auszugehen, dass jemand dem Arzt und seiner Patientin hierher gefolgt war.
Während er darauf wartete, dass es dunkel wurde, rief er Google Earth über sein Handy auf und sah sich seine Umgebung genauer an. Dann fuhr er einmal um den Block und parkte den Wagen auf der Straße, die hinter dem Haus entlangführte. Eine angenehm frische Brise kühlte sein Gesicht, als er ausstieg und sich umschaute. Die Gärten der Häuser auf dieser Seite grenzten an einen schmalen Fußweg, der sie von denen an der Straße, wo die alte Dame wohnte, trennte. Er huschte in eine Seitenstraße, fand den Weg und folgte ihm, bis er vor dem richtigen Garten stand. Das schmale hölzerne Gartentor war verriegelt, aber er konnte ohne Probleme hinübergreifen und den Riegel von innen öffnen. Durch den schmalen Schlitz sah er eine weite Rasenfläche, eine Gartenlaube und den anderen Polizisten, der auf einer Bank vor einem Paar gläserner Terrassentüren saß, die ins Haupthaus führten. Auch dieser Wachmann wirkte entspannt und hatte sich für die Nacht eingerichtet. Durch die Glastüren sah er die alte Dame mit seiner Zielperson in die Küche treten. Er biss sich auf die Lippen und befahl sich selbst, ruhig zu bleiben und abzuwarten.
Um kurz vor elf öffnete die alte Dame die Terrassentür und gab dem Polizisten einen Becher Kaffee, bevor sie wieder hineinging und die Küche verließ. Wenige Minuten später ging im oberen Stockwerk das Licht an, und er sah die beiden Frauen deutlich am Fenster, als sie die Vorhänge zuzogen.
Ein Funkgerät rauschte. Der Polizist stellte seinen Kaffeebecher ab. » Alles ruhig hier. Sie sind gerade ins Bett gegangen. Wie sieht’s bei dir aus?« Er lachte. » Schlaf bloß nicht ein. Ich meld mich in ’ner Stunde und kontrollier, ob du noch wach bist.« Der Polizist steckte das Funkgerät zurück, stand auf und ließ den Blick durch den Garten schweifen. Dann schritt er an der Gartenlaube vorbei Richtung Törchen und in den dunkelsten Teil des Gartens. Nach einem weiteren schnellen Blick in alle Richtungen öffnete der Wachmann seinen Hosenstall, schloss die Augen und begann geräuschvoll an einen Baum zu pinkeln.
Das war der richtige Moment.
Der Fremde zog eine Spritze aus seiner Tasche, schob den Riegel zurück und öffnete das Gartentor.
Im Gegensatz zu den furchterregenden Todesechos, die Jane Doe heute an den Tatorten erlebt hatte, waren die Echos in Fox’ altem Kinderzimmer angenehm freundlich. Sie konnte nicht sagen, ob es seine unschuldigen Kindheitserinnerungen an den Wänden oder Samanthas mütterliche Gegenwart waren, die die Atmosphäre im Haus bestimmten, aber Jane Doe fühlte sich ruhig und sicher. Während sie sich bettfertig machte, ließ sie ihre Blicke durch das Zimmer schweifen, atmete den Duft von Bienenwachs und frisch gewaschener Bettwäsche ein und stellte sich vor, wie der junge Nathan in seinem Bett lag und schlief, umhüllt von der Liebe seiner Tante und seines Onkels. Jane Doe hoffte, dass eine Tante oder vielleicht sogar eine Mutter wie Samantha auf sie wartete, wenn sie ihre Familie wiederfand.
Zum Abendessen hatte Samantha ein einfaches, aber köstliches Nudelgericht mit Salat zubereitet. Sie hatten in der Küche gegessen und dabei eine Flasche italienischen Rotwein getrunken. Während sie plauderten, spürte Jane Doe, wie die Anspannung von ihr abfiel. Es hatte ihr gutgetan, einmal nicht über sich zu reden. Obwohl sie kurz über den nächtlichen Übergriff in der Klinik und die Morde gesprochen hatten, hatte sich die Unterhaltung hauptsächlich um Samanthas verstorbenen Mann und um Nathan Fox gedreht, den seine Tante sehr liebte und auf den sie ganz offensichtlich mächtig stolz war.
Es klopfte an der Tür. » Kann ich noch etwas für Sie tun?«, fragte Samantha.
» Nein, vielen Dank. Sie waren wirklich sehr großzügig. Danke noch mal, dass ich hierbleiben darf. Es ist auch nur für diese Nacht, versprochen.«
Samantha wuschelte ihr durch die Haare. » Machen Sie sich keine Gedanken.
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