Der Kulturinfarkt
jahrzehntelangen Diskussion über Kultur und Wirtschaft, dann zeigt sich, dass es keine zwingenden ökonomischen Begründungen für meritorische Kulturförderung gibt. Das sagt zunächst nur, dass andere Gründe bemüht werden sollten. Ökonomische Argumente, die Kulturausgaben rentabel erscheinen lassen, sind von der Sache her schwierig. Fast nie lassen sie sich so weit konkretisieren, dass eine spezifische Begründung für eine einzelne Fördermaßnahme oder -absicht überzeugend formuliert werden könnte. Das gilt auch für kulturelle Bildung. Auch wenn kein Zweifel besteht, dass kulturelle Bildung ökonomisch sinnvoll ist, heißt das immer noch nicht, dass diese Institution oder jene Maßnahme auch schon die richtige Form ist, in der kulturelle Bildung stattzufinden hätte.
Die ökonomische Argumentation, um Kulturförderung zu rechtfertigen, ist auch kulturpolitisch problematisch. Kultur wird hier in den Kontext einer Brauchbarkeit gestellt, die der Besonderheit des Künstlerischen nicht entspricht. Wenn im Verteilungskampf um knappe öffentliche Gelder vor allem wirtschaftlich argumentiert wird, kann es leicht passieren, dass es bessere Argumente für andere Maßnahmen als die kulturellen gibt. Schon im Rahmen einer bildungsökonomischen Abwägung könnte sich ja herausstellen, dass Schachspiel besser ist als Flötenspiel oder dass Fußballtraining günstiger zu haben ist als Theaterpädagogik, bei ähnlich segensreicher Wirkung auf Jugendliche. Ist die Kunst damit entwertet?
Wenn Kultur sich auf die ökonomischen Begründungen zu tief einlässt, dann läuft sie Gefahr, sich selbst abzuschaffen. Die ökonomischen Argumente tragen nicht, sondern sie stellen Kultur in eine Konkurrenz, deren Kriterien sie nicht erfüllen kann.
Daraus folgt: Der Eigenwert von Kunst, Kultur und von kulturellem Lernen muss das Fundament von Kulturpolitik bilden. Kultur soll für sich werben mit dem, was sie kann. Wenn es dann – zusätzlich – noch Argumente gibt, die sich auf den Nutzen kultureller Betätigung beziehen, umso besser. Aber die Hauptbegründung für Kultur liegt in der Kunst und in ihrem Beharren auf den ihr eigenen Inhalten. »Der symbolische Handlungsraum der Kunst ist eine geschützte Werkstatt für den Laiendiskurs über Gott und die Welt. Die freie Kommunikation von Beobachtungen zu ermöglichen ist der Sinn der ganzen Veranstaltung und zugleich ihre nicht übersteigbare Grenze«, antwortet Beat Wyss 73 auf die Frage, wozu wir Kunst brauchen. Diesen Freiraum des unverstellten Austauschs zu haben ist Grund genug für Förderung. Anstelle aller ökonomischen Umwege plädieren wir dafür, dass Kultur selbstbewusst ihren Eigenwert begründet, um aus diesem heraus in die öffentliche Diskussion zu gehen.
73 Wyss, Beat: Nach den großen Erzählungen, Frankfurt a. M. 2009, S. 99.
Kulturpolitik muss – folgt sie diesem Credo – ihr Feld mit kulturellen Argumenten verteidigen und eben nicht damit, dass Künste und kulturelle Betätigung einen Sekundärnutzen haben. Kunst ist gerade nicht Wirtschaft. Folgt Kultur Zielen, die mit ihrem Eigenwert zu tun haben, dann besteht auch nicht die Gefahr, dass sie sich der Logik der Wirtschaft zu sehr anschmiegt. Die Logik der Marktwirtschaft ist Wachstum. Das müssen die Künste nicht mitmachen. Wirtschaften müssen kulturelle Einrichtungen und Betriebe gleichwohl, das schon. Da gibt es zweifellos eine Menge Verbesserungspotenzial.
Kultur als der »große Problemlöser«?
Nicht nur wirtschaftliche Argumente hat die Kulturpolitik ausprobiert, um zwingende Gründe dafür zu finden, warum Förderung, so wie sie ist, »unverzichtbar« ist und so bleiben muss. Kultur hat sich auch als Problemlöser in anderen Feldern angeboten. Sie fühlt sich bei allen Krisen aufgerufen. Sie beansprucht eine Kompensationsfunktion für schwierige gesellschaftspolitische Diskurse. Das macht sie allzuständig. Wir haben das schon beschrieben. In Österreich steht der große traditionelle Kultursektor als Monument und Erinnerung an große imperiale Zeiten. Vor solchem Hintergrund erwächst das selbst erteilte Mandat zu richten, was politisch (und gesellschaftlich) falsch gelaufen ist und läuft. Mussten Kunst und Kultur im 18. Jahrhundert den fehlenden Nationalstaat ersetzen und dem Bürgertum ermöglichen, eine gewisse politische Rolle zu spielen, kompensierten sie nach 1918 verlorene Größe, so musste Kultur nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem Konzept der »Kulturpflege« und dem direkten
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