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Der Kulturinfarkt

Der Kulturinfarkt

Titel: Der Kulturinfarkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Pius u Opitz Armin u Knuesel Dieter u Klein Haselbach
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entwickeln zu wollen. Denn wie immer die individuelle Glücksvorstellung aussieht, nicht sie ist Gegenstand der Kulturpolitik, sondern die Möglichkeit, Kunst als Katalysator von Glückserleben verfügbar zu machen, und das kann sehr unterschiedliche Kunst sein. Der Bürger also handelt – auch wo er es unbewusst tut – rational (wenn auch vielleicht gelegentlich mit einem sehr individuellen Rationalitätsverständnis). Wie in der Gesundheit, bei der Ernährung, beim Job – er wählt, was ihm für den Einsatz an Zeit, Geld und Aufmerksamkeit den größten Nutzen verspricht. Je größer die positive Differenz zwischen Einsatz und Nutzen, je mehr das Erlebnis die Erwartung übertrifft, umso stärker das Glücksempfinden.
    Es gibt Statistiken darüber, wie Menschen ihre Zeit einteilen und welche kulturellen Vorlieben sie realisieren. Dabei fällt auf, dass die von der Werbewirtschaft finanzierten Untersuchungen über die Bedeutung von kulturellen Marken (wie den Namen großer Kulturhäuser) für die verschiedenen Alters-, Einkommens- und Kulturgruppen der Gesellschaft häufig sehr genau die Präferenzen der Bürger aufzeigen, dass diese Studien von der Politik aber schlicht ignoriert werden. Sie könnten zu präzise sein. Die Politik liebt Antworten auf Fragen, was die Befragten am Konsum von Hochkultur hindere. Das sind die Befragungen, die der Staat in Auftrag gibt. Die Ernte an Antworten umfasst in der Regel: keine Zeit, Informationsmangel, zu hohe Preise, unpassende Anfangszeiten, zu entfernt, Freunde machen es auch nicht, kann mit niemandem drüber reden. Das sind negative Antworten als Eingeständnisse: »Ich weiß, ich sollte, aber …« Darauf lässt sich politisch reagieren, mit Vergünstigungen, besseren Verkehrsanbindungen, Ausweitung der Produktion, also dem Maßnahmeninventar der Kulturpolitik seit den siebziger Jahren. Solche Antworten sind dem Umstand geschuldet, dass Kulturabstinenz sozial geächtet ist und der Befragte das weiß und deshalb Antworten gibt, die ihn in den Augen des Befragers aufwerten.
    Wer hingegen Gründe sucht, warum Menschen Kunst genießen, stößt auf unerforschtes Terrain. Die Indienstnahme der Kunst durch die Mächtigen und durch die Erzieher war und ist so absolut, dass die Frage, warum Menschen sich mit Kunst beschäftigen, wissenschaftlich über den Begriff des Homo ludens hinaus nicht recht erforscht wurde.
    Es bleibt die (Selbst-)Beobachtung. Sie sagt, dass das Vergnügen an erster Stelle kommt. Vergnügen als Motivator ist allerdings umstritten. Vergnügen ist mit Unterhaltung gleichgesetzt, und diese ist die Gegenkraft zur Kunst. Kunst, die allzu offensichtlich Unterhaltung verspricht, macht sich suspekt, sagt nicht nur Adorno. Kultur verlangt eine Leistung der Selbstüberwindung, mindestens seit Reformation und Gegenreformation. Zu oft haben Kaiser und Diktatoren sich das Vergnügen zur Manipulation zunutze gemacht. Die Abspaltung des Vergnügens von der Kunst hat es überdies ermöglicht, dass in der Industriegesellschaft eine eigene Industrie des Vergnügens entstanden ist.
    Von der autoritätskritischen Haltung ist nur der antikommerzielle Gestus geblieben. Der europäische Künstler und Kunstliebhaber erbringt eine individuelle Leistung der Transzendenz. Dass sie öffentlich ist, dass sie im Kollektiv stattfindet, ist wichtig. Nur so kann diese Leistung kapitalisiert werden. Deshalb muss Hochkultur in erster Linie öffentlich stattfinden, deshalb kann Kulturpolitik wenig mit dem digitalen Trend zur Privatisierung des Konsums anfangen. Der Kulturbürger kann sich Vergnügen nur gepaart mit Selbstzweifeln leisten, sie sind Teil der öffentlichen Darstellung. Die öffentlich geäußerten Zweifel, das schlechte Gewissen, unterscheiden ihn vom Unverständigen. Denn im Moment des ungebrochenen Vergnügens wäre er ausgeliefert. Hier ankert die große Feindseligkeit zeitgenössischer Kunst gegen Emotionen. Sie kann Gefühle nur ironisch oder gebrochen darstellen, jede unmittelbare Darstellung gilt ihr als Kitsch.
    Adam Smith, schottischer Protestant, hat diesen Mechanismus erkannt und auf die staatstragende Wirkung von Vergnügungen hingewiesen: »Wenn der Staat jene Leute ermuntert, das heißt, ihnen völlige Freiheit zugesteht, die aus eigenem Interesse versuchen würden, das Volk durch Malerei, Dichtkunst, Musik und Tanz, durch alle Arten dramatischer Schauspiele und Ausstellungen, ohne anstößig zu sein oder den Anstand zu verletzten, zu belustigen und zu zerstreuen,

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