Der Kulturinfarkt
nach einer sachlichen Zulassungsprüfung, durch das Los. So hätten auch neue Namen und neue Ansätze eine reale Chance. Und wem das zu mutig ist, für den bleibt noch immer die Möglichkeit, auch Projekte nach vertiefter Prüfung durch Experten zuzulassen, aber auch Joker nach Zufallsprinzip zu vergeben.
Bedingung für alles, ob institutionell oder punktuell, ist, dass Künstler, Ensembles und Intendanten der Förderung Entwicklungsperspektiven erarbeiten und Leistungsschritte vereinbaren. Unvermeidlich kommen darin auch ökonomische Faktoren zur Sprache: Welcher Erfolg ist gewünscht, gefordert? Welche Gegenleistung erhält die fördernde territoriale Einheit? Wie wird Erfolg honoriert? Und wann endet das Fördermodell? Wie sieht der Übergang in finanzielle Eigenständigkeit aus? Und wie gestaltet sie sich? Denn enden muss jede Förderung, gerade solange aus den Kunsthochschulen so zahlreich Nachwuchs hervorquillt. Solche Modelle setzen mehr als Empathie voraus; die Förderer müssen sich mit Marktmechanismen und Ordnungspolitik gut auskennen. Und die Künstler müssen gewillt sein, sich mit den ökonomischen Bedingungen ihres Feldes auseinanderzusetzen. Seitens der Kunsthochschulen schließlich ist Praxisbezug erforderlich, eine Lehre, die sich im Produzieren für unterschiedliche kleine und große Märkte vollzieht.
Verknappung schafft Vielfalt
Verknappung lautet ein weiterer Schlüsselbegriff. Die Angebotsinflation im geförderten Sektor muss beendet werden, im Interesse der Kunst selbst. Verknappung erhöht den Wert, sie setzt Ressourcen frei. Und sie schafft Raum für private Initiativen jenseits behördlicher Normierung und politisch korrekter Inhalte und Formate. Dass dabei das eine oder andere große Talent unter die Räder kommt, ist bedauerlich, aber in keinem System zu vermeiden. Paradox, aber nicht undenkbar ist, dass unter Bedingungen der Knappheit Talent sogar besser zur Geltung käme. Denn das oft zitierte Argument, dass man breit fördern müsse, um das Supertalent von morgen nicht zu verpassen, liefe darauf hinaus, alle zu fördern. Doch wenn alle gefördert sind, ist niemand mehr da, der die Talente erkennen kann.
Verknappung setzt bei der Zahl kultureller Komplexe an. Sie bündeln die kulturellen Institutionen nach soziokulturellen Kriterien; wir gehen davon aus, dass die Hälfte der existierenden reicht. Eine solche Kontingentierung ist wohl die einzige Möglichkeit, Produktion und Rezeption wieder auszugleichen. Die Bevölkerung wird in unseren Ländern in den nächsten 20 Jahren nicht mehr wachsen, vor allem aber wird sie dank der Migration ganz anders zusammengesetzt sein.
Der Markt ist – von den Schnittstellen zur Bildung und den Institutionen für das kulturelle Gedächtnis abgesehen – der zentrale Regler, daran ändert sein gelegentliches Versagen, das oft mit mangelnder Ordnungspolitik zu tun hat, nichts. Aus Letzterem lernen wir höchstens: Die Kulturpolitik kann für einzelne kulturelle Praktiken meritorische Vorzugsbedingungen schaffen. Aber meritorische Förderung muss immer auf ihr Verschwinden hin gestaltet werden. Soweit die unabhängige Produktion betroffen ist, wird sich jedes Projekt und jeder Künstler nach einer Schonphase am Markt behaupten müssen. Dass dabei nicht jeder Millionär wird, gehört zum Spiel. Selbst in Nischen lässt sich leben.
Die Engführung staatlicher Finanzierung muss allerdings mit einer Ermutigung privater Initiative und privater Finanzierung einhergehen. Solches können wir den Vereinigten Staaten abschauen. Über weite Strecken fehlen dort staatliche Beihilfen für die Kulturproduktion. Das National Endowment for the Arts, die Kulturförderungsbehörde der USA , verfügt für alle 52 Staaten über gerade einmal 150 Millionen Dollar. Etwas zugelegt haben in den letzten Jahren die Städte. Dafür ermutigt der Staat Individuen, Organisationen und Firmen, nach eigenem Gutdünken in die Kunst zu investieren. Er verzichtet dafür auf Steuereinnahmen, und man darf davon ausgehen, dass er auf so viele Abgaben verzichtet, wie die europäischen Länder proportional an Steuermitteln in die Kultur einfließen lassen. Die Auswirkungen dieses durch die Bürger direkt gesteuerten Verteilungsmechanismus sind enorm. Nicht nur ist finanzielles Engagement zugunsten der Kultur ein wichtiges Thema in der Bürgergesellschaft. Wer dazugehören will, spendet. Das System ist viel stärker gegenwarts- und bedürfnisorientiert und reagiert rascher auf Entwicklungen.
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