Der Kulturinfarkt
von der Nachfrage her gedacht werden müssen, sonst haben sie keine Chance auf Aufmerksamkeit und Geld.
Crowdfunding-Modelle haben viele Vorteile. Zwei stechen hervor: Sie sozialisieren das Kunstprojekt, noch bevor es entstanden ist. Es wird zu einer kollektiven Anstrengung. Und: Wenn die öffentliche Hand den Betrieb der Plattformen unterstützt, so verstärkt sich ihre Wirkung, und zwar auf ideale Weise: Der Staat unterstützt die Drehscheibe. Urteile über Projekte fällen die Individuen mit ihrem Obolus. Und beweisen dabei, das weiß man von Kickstarter, oft einen exquisiten Geschmack und fördern nicht einfach den Mainstream. Crowdfunding-Modelle sind deshalb eine besondere Herausforderung für die gegenwärtige Kulturpolitik, weil sie eines ihrer Axiome demontieren: dass das breite Publikum nur an Banalem interessiert sei. Oder anders herum: dass der Staat besser wisse, was wichtige Kultur sei. Dasselbe Argument wird oft gegen das amerikanische System der privaten Spenden vorgebracht; es liefere Kunst zu sehr dem Interesse der Masse aus. Wir denken gerade umgekehrt, der Staat müsse sich aus dem Urteilen heraushalten. Es mag Sinn gemacht haben, dass er vor 200 Jahren einen Kanon, Bausteine einer kulturell definierten Identität und Ähnliches festlegte. Seit den neunziger Jahren jedoch leben wir in einer Demokratie, die genau diese Konstruktionen unterläuft.
Was unter dem Regime der digitalen Vernetzung noch möglich sein wird, kann erst die Zukunft zeigen. Aufgabe von Kulturpolitik wird es sein, für eine solche Zukunft Platz zu lassen. Aber es gibt auch jetzt schon Möglichkeiten für sie, aktiv an einer Verbesserung der Bedingungen für private und privat finanzierte Kultur zu arbeiten. Ein Handlungsfeld ist zum Beispiel das Urheberrecht, es muss für die digitale Gesellschaft immer wieder so umgearbeitet werden, dass Rechte der Urheber belastbar bestehen bleiben. Das Steuerrecht kann privates mäzenatisches Engagement in der Kultur durch steuerliche Entlastung honorieren. Das Haushaltsrecht kann so umgestaltet werden, dass verlässliche mehrjährige Förderung möglich wird. Im Wettbewerbsrecht können die Möglichkeiten Privater gestärkt werden, sich gegen unlautere meritorische Konkurrenz zu wehren. Diese Liste kann fortgesetzt werden. Maßstab auch für solche Maßnahmen muss nach unserer Überzeugung bleiben, das öffentliche Angebot zu verknappen und das Handlungsfeld für private Akteure zu vergrößern.
Handlungsbedarf an den Schnittstellen
In Deutschland, in Österreich, in der Schweiz, generell auf europäischer Ebene herrscht ein Förderdschungel, den keine fördernde Instanz mehr wirklich durchdringt. Das ist auch angenehm, so kann man sie nicht auf (fehlende) Wirkungen festnageln. Die Baustellen unserer jeweiligen nationalen Akropolis wachsen und wachsen, künstlerische Berufe werden von immer mehr Menschen immer länger ausgeübt, allerdings mit immer weniger Erfolg, wenn man den Beitrag zu ihrer eigenen Lebenshaltung betrachtet. Es gibt im Kultursystem (oder sagen wir: in der kleinen Kulturwirtschaft) nur einen kleinen Kern Erfolgreicher, umgeben von einem wachsenden Heer der Erfolglosen. Ein breites Mittelfeld, einen Mittelstand, wie er andere Branchen prägt, gibt es nicht. Das gilt ausgeprägt in der bildenden Kunst, aber ebenso in anderen künstlerischen Feldern.
Der Staat tut, was er kann, auf allen Ebenen und in allen Formen. Er fördert die Künstler direkt, er unterstützt Produktionen, er subventioniert Ausstellungs- und Spielstätten, er finanziert Ensembles, die an subventionierten Spielstätten auftreten, er gibt Druckkostenzuschüsse an Bücher von unterstützten Autoren, publiziert in Verlagen, die von Strukturhilfen profitieren, er reduziert die Mehrwertsteuer auf Bücher, verzichtet auf die Mehrwertsteuer bei Eintrittskarten, hält aber die Vorsteuern zurück. Das geht wild durcheinander. Werden Künstler direkt gefördert, so sind sie glücklich. Es ist, was sie als Freiheit erfahren: ihre höchstpersönlichen Visionen in einem geschützten ökonomischen Raum verwirklichen zu können. Doch auf diese Weise erfahren sie nicht, wie sie auf dem Markt stehen, für wen sie arbeiten. Gäbe es eine ordnende Entscheidung, dass nur Orte gefördert werden, an denen Künste stattfinden können, nicht aber auch noch die Künstler selbst (vielleicht mit der Ausnahme einer schmalen Zeitspanne, in welcher der Nachwuchs versucht, Fuß zu fassen), dann hätten Künstler die Chance zu
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