Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Kulturinfarkt

Der Kulturinfarkt

Titel: Der Kulturinfarkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Pius u Opitz Armin u Knuesel Dieter u Klein Haselbach
Vom Netzwerk:
Es pflegt Innovation als Ausdifferenzierung.
    Am wichtigsten aber: Das amerikanische System ist Europa in der Frage der sozialen Diversität voraus. Weil staatliches Geld knapp ist, verbleibt die Aufgabe der Kulturpflege bei jeder einzelnen kulturellen Community. Angeführt von ihren jeweiligen Eliten, entwickeln sie kulturelle Strukturen und Einrichtungen. In der Summe entsteht so ein System von geringerer Dichte als hierzulande. Weitaus weniger Infrastruktur muss dauerhaft unterhalten werden, doch die soziale Vielfalt ist erheblich größer. Jede Kulturgruppe hat ihre Häuser, ihre Gefäße, ihre Medien. Nicht nur die Bevölkerungsdynamik drängt zu ständig weiterer Ausdifferenzierung, auch der Markt verlangt zusätzliche Spezialisierung; man muss sich ja trotz aller Zusammengehörigkeit auszeichnen. Es entstehen mexikanische Galerien, indianische Ensembles, chinesische Bühnen und indische Kulturzentren, eingebettet in informelle soziale Netze und getragen von vielen. Unternehmergeist ist allgegenwärtig. Auch europäische Klassik und Avantgarde finden in diesem System ihren Platz. Alles wird kulturell hybrid, transkulturell, hat an einer Herkunfts- und an einer Standortkultur teil und liefert so Haltepunkte nach beiden Seiten. Das ist genau das, was Europa nicht schafft. Zwar findet die »weiße« europäische Elite in den aktuellen Einrichtungen ihre Haltepunkte, doch weder eingewanderte noch ländliche oder traditionalistische Kulturen verfügen über wahrnehmbare Strukturen für ihr Tun. In Europa ist der Staat zuständig, ihn aber leiten, was die Kultur angeht, die Experten einer europäischen Hochkultur, in die zwar Fremdes einfließt, aber nur als Fremdes, während es in den USA als gleichwertig daherkommt. Die amerikanische Kulturpolitik redet deshalb gar nicht mehr von Vielfalt. Diese ist längst verwirklicht und transzendiert.
    In den USA sind die kulturellen Systeme konstitutiv für die jeweiligen sozialen Gruppen. Sie stiften, was man auf dieser Seite des Atlantiks so gern hätte: multiple Identität aus Differenz. Mit europäischem Multikulti hat das amerikanische System nichts gemein, weil Differenz nicht um der Integration willen gefördert wird, sondern als Ausfächerung am sozialen wie am ökonomischen Markt. Jedes kulturelle Modell sucht sich seinen Platz im großen gesellschaftlichen Ganzen; dabei übernimmt es die allgemeinen Normen der umgebenden Gesellschaft und strukturiert sein Herkunftsmaterial neu. Zugleich stellt es jenen eine alternative Identität zur Verfügung, die danach suchen.
    Der gemeinsame Nenner aller Differenz, der die US -Gesellschaft zusammenhält, ist Erfolg: Selbstbehauptung aus eigener, individueller oder kollektiver Leistung. Ein Barbar, wer meint, dabei werde nur Kitsch produziert. Vor allem entstehen kulturelle Archetypen, welche die restliche Welt verändern: der Jazz, das Kino, der Pop, der Hip-Hop. Und was als amerikanische Kommerzkultur zu uns gelangt und vom europäischen Hochkultursystem mit Vehemenz abgelehnt wird, ist die Frucht hoch arbeitsteiliger kreativer Prozesse, in denen Identifikationspotenziale und Phantasietrigger optimiert werden. Umgekehrt gibt es diese Ablehnung übrigens nicht, einzig vielleicht Desinteresse.
    Unterschiedliche Finanzierungsmodelle setzen Ressourcen frei
    Die Kritiker des Marktes haben seit der Bankenkrise Oberwasser. Das ändert nichts daran, dass es zum freien Spiel der Kräfte keine Alternative gibt. Deutlich gilt das für die Kultur, wo jede Monopolisierung durch den Staat – Europa liefert genügend Anschauungsmaterial – deren Tod bedeutet. Also liegt es im Interesse des Kultursektors selbst, dass der Staat allenfalls subsidiär auftritt und möglichst wenig Abhängigkeiten schafft. Jedes Produktionssystem muss konkurrierende Konzepte zulassen. Deshalb ist es vorrangig, dass Kulturpolitik nicht nur den subventionierten Bereich pflegt, sondern auch den nicht subventionierten durch günstige Rahmenbedingungen, transparente Urheberrechtssysteme, kostengünstig mietbare Infrastrukturen und Starthilfen. Schlüsselfiguren einer bürgernahen Kulturproduktion waren schon immer die kulturellen Unternehmer. Deshalb muss es ein primäres Anliegen der anderen Kulturpolitik sein, den Aufbau kultureller Unternehmungen zu fördern. Privates kulturwirtschaftliches Engagement braucht Ermutigung statt staatlicher Konkurrenz. Alle die Gegenwart prägenden und modellhaften Kultureinrichtungen wurden von Unternehmern aufgebaut, sei es das

Weitere Kostenlose Bücher