Der Kunstreiter
Stunden aus.«
»Und finden Sie selber Freude an diesem Beruf – an dieser Kunst, wenn Sie wollen?«
»Ich lebe und atme darin,« rief Georgine, und ihre Augen leuchteten, ihre ganze Gestalt hob sich. »Auf dem Rücken meines Tieres bin ich ein anderes Wesen, gehöre dieser Erde kaum mehr an, und was dem Fisch das Wasser, der Pflanze das Licht sein mag, ist mir der jauchzende Beifall der Menge, die buntgeschart mich umgibt. Ichschwimme dann in einem Meer von Glanz und Licht und Wonne, und – erwache erst, wenn diese Wände hier aufs neue mich umgeben – einschließen.«
»Und doch ist das ein unnatürlich Leben,« sagte der junge Graf, »das Haus ist eigentlich des Weibes schönster Wirkungskreis.«
»Nicht der meine,« rief Georgine, indem ein trotziges Lächeln ihre schönen Lippen umspielte. »Das Haus? – ja, für die Weiber, die stricken und nähen und Freude vor ihrem Wäscheschrank finden können. Mein Wirkungskreis liegt draußen in der Bahn; ich tanze, fliege durch das Leben, und so – so möcht' ich enden, wenn es denn einmal geschieden, gestorben sein muß. Aber Sie sind Soldat. Sie können sich ja am besten, am leichtesten in solche Sehnsucht denken. Und möchten Sie, wie Sie da vor mir stehen als Mann, das Leben eines Stubenhockers, eines Aktenmenschen wählen, der über seinen staubigen Papieren brütet und Licht und Luft und Sonnenschein da draußen ungesehen, unbeachtet wirken, schaffen, segnen läßt? Sie nicht, Sie wahrlich nicht, und gerade so denk' auch ich. Von klein auf zu diesem Beruf herangebildet, hab' ich mit der Muttermilch schon die Lust an solchem Leben eingesogen, und wenn das nun einmal im Blute liegt, glauben Sie nicht, daß der sich einer geregelten – einer festgeschnürten Existenz möcht' ich es nennen, einem Gang in der Tretmühle des menschlichen Lebens je wieder fügen könne. Zugvögel, die wir sind, müssen wir auch die Freiheit des Zugvogels behalten, wenn wir nicht verkümmern, nicht untergehen sollen.«
»Und denkt Ihr Gatte ebenso?«
»Gewiß – er wäre sonst nicht der, der er ist: Bertrand, der kühnste aller Reiter und – mein Mann. Aber ich plaudere und plaudere, und denke nicht daran, daß es Sie wenig kümmern wird, welche Gesinnungen über ihr Leben eine Kunstreiterin hegt. Von Ihren Sphären sind wir freilich ausgeschlossen, und doch – wer weiß, ob nicht so wackere Herzen oft unter dem bunten Tand, mit dem wir uns behängen müssen, wie unter Stern und Ordensbändern schlagen! Doch mein Geschwätz ermüdet Sie; nehmen Sie wieder Platz, Herr Graf, und – wenn Sie es wünschen und etwas Besonderes mit Monsieur Bertrand zu bereden haben, will ich ihn rufen lassen. Der Zirkus ist nur wenige Schritte von hier entfernt.«
»Ich danke Ihnen, Madame,« unterbrach sie der Rittmeister. »Meine Zeit ist überdies heute beschränkt, wie die seine wahrscheinlich. Morgen früh wird ihm eher Raum bleiben, mir eine halbe Stundezu gönnen. Meine Wohnung finden Sie auf der Karte angegeben. Ich darf Sie bitten, ihm meinen Wunsch mitzuteilen?«
»Ihr Auftrag soll pünktlich vollzogen werden,« sagte die Frau, und der Rittmeister, indem er sich dankend verbeugte, grüßte sie achtungsvoll und verließ das Zimmer.
Georgine blieb, die Unterlippe mit den kleinen weißen Zähnen gefaßt, wohl mehrere Minuten in derselben Stellung am Fenster. Sie hielt die Karte, die er ihr gegeben, noch in der Hand, und ihre Augen hafteten darauf.
»Kalt wie Eis,« murmelte sie dann mit einem spöttischen und doch auch wieder verdrießlichen Lächeln vor sich hin, »aber – was er nur von Georg will? denn die Ähnlichkeit war leere Ausrede – Graf Wolf von Geyerstein, Rittmeister – hier und Adjutant des Fürsten? Sollte der Fürst – vielleicht wegen des Turmseils? aber, bah! was hat der mit dem Kunstreiter zu schaffen, daß er einen seiner Adjutanten zu ihm schicken würde? Auch war der Herr Rittmeister nicht in Uniform, sondern in Zivil; er hat sich vielleicht geschämt, in Uniform bei uns gesehen zu werden. Aber er wollte Georg sprechen, nicht mich. – Doch was zerbreche ich mir den Kopf?« rief sie plötzlich, die Karte neben sich auf den Tisch werfend. »Ob Herr Graf Wolf von Geyerstein Ursache hat, den Kunstreiter Bertrand aufzusuchen oder nicht – was kümmert's mich! Georg mag das selber untersuchen. Die ganze Sache läuft doch nur zuletzt auf einen Pferdekauf hinaus.«
»Ist er fort?« sagte in diesem Augenblick der Alte, der seinen Kopf wieder zur Tür
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