Der kuriose Fall des Spring Heeled Jack: Roman (German Edition)
Swinburne war sie zu schwer – und stellte sie so auf, dass das Ende an der Dachkante lehnte, die oberste Sprosse direkt unter der Regenrinne.
»Rauf da, und wirf das Seil runter, aber schnell!«
»Ja, Sir«, sagte der Dichter, dessen Gesicht angenehm brannte.
Während der Zinken in den Raum hinter dem Ladengeschäft zurückkehrte, wickelte sich Swinburne ein langes Seil um die schmalen Schultern und stieg die Leiter hinauf. Jetzt stand ihm der gefährlichste Teil bevor. Er musste über das schiefe Dach biszum Kamin klettern – über ein schiefes Dach, dessen Ziegel nass vom Regen waren.
Nachdem er sich von der obersten Sprosse über die Regenrinne nach oben gezogen hatte, lehnte er mit der rechten Hüfte auf dem Dach und drückte die Seiten seiner Stiefel fest gegen die nasse Oberfläche. Mit den flachen Handflächen auf den Ziegeln abgestützt begann er, sich nach oben zu drücken. Stück für Stück kam er dem Dachfirst näher.
Er brauchte zehn mühevolle Minuten, aber er schaffte es ohne auszurutschen. Dann stand er mit einem Seufzer der Erleichterung auf und lehnte sich gegen den Kamin. Er entrollte das Seil und ließ es in den Schacht hinab.
»Wird verdammt noch mal auch Zeit, du verfluchter Taugenichts«, erklang eine hohle Stimme von unten.
Das Seil tanzte und ruckte, als der Zinken das Ende um die Beine der Gans schlang. Swinburne konnte den Vogel angstvoll rufen hören.
»In Ordnung, hoch mit ihr«, ertönte Sneeds Befehl.
Swinburne begann, die unglückliche – und sehr schwere – Gans durch den Schacht nach oben zu ziehen. Panisches Schnattern und Flügelschlagen hallten durch den Kamin hinauf.
Diese Methode setzten sie ein, um den festgebackenen Ruß von der Innenseite des Kamins zu lösen, wenn der Schacht zu eng war, als dass Swinburne hätte hinaufklettern und es selbst tun können. Auch wenn er Mitleid mit dem traumatisierten Vogel hatte, zog der Dichter dieses Vorgehen vor, denn einen Schacht hinaufzusteigen war eine unglaublich schwierige und gefährliche Angelegenheit, wovon die Schürfwunden und Blutergüsse an seinen Knien, Ellbogen, Schultern und Händen Zeugnis ablegten.
Bis ganz nach oben zog er das Federvieh, bis die schlagenden Flügel in einer dichten Rußwolke in Sicht kamen, dann ließ er den geschwärzten Vogel wieder hinab. Seine Schultern brannten vor Anstrengung, das Seil rutschte ihm durch die Hände und riss seine Blasen auf.
»Fertig!«, hallte Sneeds Stimme nach oben. »Komm wieder runter!«
Swinburne ließ das Seil in den Kaminschacht fallen und nahm auf der Kante des Schornsteins Platz, drehte sich dann um und rutschte, auf dem Bauch liegend, vorsichtig über die Ziegel.
Der Nieselregen hatte sich in einen anständigen Schauer verwandelt, und die zunehmende Dunkelheit machte es schwierig, das Ende der Leiter zu erkennen, die nur wenige Zentimeter über die Dachkante aufragte. Swinburne – zierlich, leicht erregbar und übersensibel – war Angst jedoch etwas vollkommen Fremdes, und trotz der heiklen Situation blieb er ruhig, als er sich am Rand des Daches vorsichtig über die glitschigen Schindeln schob, bis er mit der Spitze des linken Stiefels die Leiter ertastete. Er schaffte es auf die oberste Sprosse und kletterte nach unten. Als er spürte, wie seine Stiefel den Boden berührten, stieß er einen Seufzer der Erleichterung aus.
Mittlerweile schmerzte sein ganzer Körper, und er sehnte sich nach einem Brandy. Drei Tage lang hatte er schon nichts getrunken und fand die Nüchternheit ganz und gar unerträglich.
Er kehrte zum Zinken zurück, der knurrte: »Zu langsam, Junge! Das hier is’ kein verdammter Urlaub!«
»Tschuldigung, Sir, das Dach war nass.«
»Deine Ausreden will ich nich’ hören! Mach hier fertig!«
Der Kaminkehrer lehnte sich zurück und nahm einen Schluck Schnaps, während sich Swinburne auf das Sackleinen kniete, das jetzt voll von dem Ruß war, den die Gans im Schacht losgeschlagen hatte, und begann, die Stangen aus der langen Tasche zu nehmen. Er befestigte eine große, runde und flache Bürste mit festen Borsten am Ende und schob sie mithilfe der Stangen in den Kamin. Eine Rußwolke quoll aus dem Schacht hervor und hüllte ihn ein. Er schraubte eine zweite Stange an das Ende der ersten und schob erneut, mit demselben Ergebnis. So ging es weiter, bis er mit der Bürste keinen Widerstand mehr fühlte, was bedeutete, dass sie jetzt oben aus dem Kamin hervorragte. Dann ging es andersherum, Stange für Stange wurde nach unten
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