Der kuriose Fall des Spring Heeled Jack: Roman (German Edition)
entfernter Ruf. »Was ist hier los? Lass sie in Ruhe!«
Die Kreatur drehte den schwarzen kreisrunden Kopf und blickte die Gasse hinunter.
Mary hörte, wie sich jemand mit schnellen Schritten näherte.
Die Gestalt drehte sich wieder zu ihr um, den Blick auf ihre Brust gerichtet.
Sie zog den Stoff des zerfetzten Kleides über ihre Blöße.
»Du bist es nicht, Mary Stevens«, sagte die Kreatur ruhig und sprang plötzlich hoch in die Luft.
»Verdammte Hölle!«, ertönte eine Männerstimme.
»Was ist los?«, fragte eine andere.
Sie sah die Kreatur mit riesenhaften Sätzen davonspringen, dann war sie verschwunden, und behutsame Hände halfen ihr auf.
»Bist du verletzt, Kleine?«
»Ganz ruhig.«
»Mach den Mantel zu, Mädchen. Niemand sieht etwas.«
»Hier, nimm meinen Arm. Kannst du gehen?«
»Das ist ja Mary Stevens! Ich kenne ihren Vater!«
»Was war das, Mary? Was war dieses Ding?«
»Hast du gesehen, wie es gesprungen ist? Verdammt, das Biest muss Sprungfedern an den Schuhen haben!«
»War es ein Mann, Mary?«
Das junge Mädchen blickte in die besorgten Gesichter.
»Ich weiß es nicht«, flüsterte sie.
Januar bis Mai 1838
Edward Oxford wartete im Schatten eines hässlichen Denkmals im Kirchhof der St. David’s Church in der Silverthorne Road. Er wusste, dass Deborah Goodkind den Sonntagsgottesdienst dieses Jahr regelmäßig besuchte, und doch war er bereits an drei aufeinanderfolgenden Sonntagen im Januar hier gewesen, zweimal im Februar und jetzt schon das zweite Mal im März. Nie hatte er jemanden gesehen, der ihrer Beschreibung entsprochen hätte.
»Wenn die Informationen, die Oxford dem Marquis gegebenhat, falsch waren, finde ich die kleine Schlampe nie«, murmelte er leise.
Er lachte. Warum, wusste er nicht.
Schnee bedeckte den Boden. Er fror. Der Temperaturregler an seinem Anzug funktionierte nicht mehr.
Leute strömten aus der Kirche. Beim Hineingehen hatte er Deborah nicht ausmachen können, aber vielleicht hatte er sie in der Menge übersehen. Jetzt konnte er die Gesichter der Kirchgänger besser erkennen.
Er zog sich ein Stück zurück, besorgt, dass die Funken, welche die Kontrolleinheit ausspuckte, ihn verraten könnten. Er zog den Mantel darüber.
Eine halbe Stunde später verließ der letzte Nachzügler die Kirche.
»Wo zur Hölle steckst du?«, murmelte er.
Er ging in die Knie, sprang in die Luft und landete einen Monat später, neunzig Minuten früher.
Es regnete heftig.
Er schlug mit der Faust gegen das Denkmal.
»Verfluchte Scheiße. Verfluchte Scheiße. Komm jetzt! Komme jetzt endlich!«
Die Gemeinde tröpfelte ein. Ihre Gesichter lagen verborgen unter Hüten und Regenschirmen. Keine Deborah.
Oxford fluchte und sprang zum 25. Mai.
Nachdem er eine gute Stunde gewartet hatte, sah er sie endlich, als sie die Kirche verließ.
Sie war ein kleines, unscheinbares Ding; das Haar farblos, blass, die Glieder dürr und knochig.
Sie wechselte einige Worte mit dem Vikar, dann mit einer älteren Dame, dann mit einem jungen Paar. Schließlich lief sie den Weg hinunter, aus dem Kirchhof hinaus und wandte sich nach links.
Ein seltsam warmer Nebel hing über der Stadt, doch er war nicht dicht genug, um ihn zu verbergen. Oxford wusste, dass man ihn leicht würde entdecken können.
Er musste das Risiko eingehen.
Er sprang über die Friedhofsmauer in einen Hintergarten, von dort in den nächsten und immer weiter hinter den Häusern der Silverthorne Road entlang, bis er an eine schmale Gasse kam. Er schlich zur Ecke vor und spähte vorsichtig zurück in die Richtung, aus der er gekommen war.
Einen Augenblick später kam das Mädchen in Sicht.
Das Glück war auf seiner Seite, die Straße war verlassen.
Oxford lehnte sich gegen die Mauer und lauschte.
Ihre leichten Schritte kamen näher.
Als sie vorüberging, packte er sie und zog sie in die Gasse hinein. Er drehte sie um, drückte sie gegen die Mauer und hielt ihr den Mund zu.
Dann brachte er sein Gesicht nah an das ihre und stellte seine Frage.
»Hast du ein Muttermal auf der Brust?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Gar keins? Nichts von der Form eines Regenbogens?«
Noch ein Kopfschütteln.
Oxford ließ sie los, ging mit einem letzten Blick auf ihr seltsam ruhiges Gesicht davon und sprang in eine andere Zeit, an einen anderen Ort.
Deborah Goodkind stand bewegungslos da, mit den Schultern an die Ziegel gelehnt.
Sie schüttelte den Kopf erneut und lächelte.
Sie hob den rechten Arm und schlug sich mit dem Handballen gegen
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