Der kuriose Fall des Spring Heeled Jack: Roman (German Edition)
Steigen Se ein!«
Burton ließ sich auf dem Sitz nieder und schloss die Tür. Er rieb sich die juckenden Augen, als das Dampfpferd fauchte und die Kabine sich in Bewegung setzte. Seine Haut fühlte sich schmutzig an, bedeckt von einer dünnen Schicht aus Ruß und anderem Dreck. Er fragte sich, ob man Limehouse wohl evakuiert hatte. Während des letzten Nebels vor zwei Wochen hatten sich giftige Gase im Becken der Themse gesammelt, und ein unübersichtlicher Mob aus Seemännern, Verbrechern, Drogensüchtigen und illegalen Einwanderern – größtenteils ostindische Matrosen und Banditen, Chinesen, Afrikaner und irische Flüchtlinge – waren über Whitechapel hergefallen. Der Aufstand hatte drei Tage gedauert. Als der Nebel sich lichtete und sie wieder in ihre Hütten und Opiumhöhlen verschwanden, musste man feststellen, dass sie Hunderte Leichen – Erstickungsopfer – entlang der Commercial Road aufgestapelt hatten. Aufgrund des Risikos einer Choleraepidemie und einer Explosion der ohnehin nicht kontrollierbaren Rattenplage hatte die Regierung die Armee einberufen, um die Leichen zu verbrennen. Seitdem riefen die Zeitungen ununterbrochen zu einem Generalangriff auf Limehouse auf und forderten, dass der Bezirk gesäubert und dem Erdboden gleichgemacht werden solle. Burton hielt es für unwahrscheinlich. Der Opiumhandel brauchte Limehouse, und er nahm an, dass es im Empire einflussreiche Mächte gab, die den Opiumhandel brauchten.
Den Mornington Crescent zu erreichen dauerte weitaus länger, als es sollte, zweimal bog der Kutscher falsch ab, und als er seinenPassagier endlich in der Bayham Street absetzte, war er vor Verlegenheit ganz außer sich.
»Is’ mir noch nie passiert, das schwör’ ich Ihnen, Sir«, stöhnte er. »So wahr ich Montague Penniforth heiße, ich kenn’ jeden Winkel von der Stadt hier! Aber dieses komische Zeug macht mich ganz wirr! Ich kann kaum noch gradaus denken, geschweige denn das Dampfpferd in die richtige Richtung lenken!«
Burton wusste, was der Mann meinte. Irgendeine Komponente dieses Nebels löste bei ihm ebenfalls leichten Schwindel aus – ein Umstand, der ihm nach dem Gelage der letzten Nacht mehr als ungelegen kam.
»Machen Sie sich deswegen keine Sorgen, Mr Penniforth«, sagte er. »Hier sind ein paar Schilling extra. Warum machen Sie für heute nicht Schluss? Fahren Sie nach Hause und verbringen Sie etwas Zeit mit Ihrer Frau!«
»Potzblitz!«, hustete Penniforth. »Sie machen Witze! Daisy würde Kleinholz aus mir machen, wenn ich vor Mitternacht aufkreuze! Die erträgt doch meine dreckige Visage nich’!«
Burton lachte.
»Dann warten Sie hier, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Es wird nicht lange dauern, und ich verspreche Ihnen noch einen weiteren Schilling.«
»Muss mein Glückstag sein«, grinste der Kutscher. »Da stopf’ ich mir doch ’ne Pfeife, damit ich mal ’n bisschen anständigen Qualm in die Lunge krieg’!«
Burton ließ Penniforth zurück, der den Kopf einer dreckigen alten Kirscholzpfeife ausklopfte, und ging über den Gehsteig, um die Hausnummern zu lesen. Nr. 3 war ein vierstöckiges Reihenhaus. Ein schwaches Leuchten drang aus dem Oberlichtfenster über der Tür. Er zog am Glockenzug und hörte ein gedämpftes Leuten.
Nach einer Minute wurde die Eingangstür von einer älteren Frau in Trauerkleidung geöffnet, ihr Gesicht lag hinter einem Schleier aus schwarzem Krepp verborgen.
»Ja?«, flüsterte sie. In ihrer Stimme lag ein Hauch von Misstrauen, schließlich war ihr Besucher zwar offensichtlich ein Gentleman, doch sein Gesicht war voller Platzwunden und Blutergüsse und bot einen barbarischen Anblick.
»Bitte entschuldigen Sie, Madam«, sagte Burton höflich. »Wohnt bei Ihnen eine Schwester Raghavendra?«
»Ja, Sir. Im dritten Stock. Sind Sie vom Sanatorium?«
»Von da komme ich gerade, ja«, erwiderte er. Es war nicht ganz die Antwort auf ihre Frage, aber sie schien es nicht zu bemerken, und seine tiefe, höfliche und melodische Stimme schien sie zu beruhigen.
»Wenn Sie sie sprechen möchten, Sir, muss ich Sie als Anstandsdame begleiten«, bemerkte sie. Ihre Stimme klang zerbrechlich.
»Das ist in Ordnung, vielen Dank.«
»Dann kommen Sie doch bitte aus dem Nebel heraus, Sir. Sie können in der Diele warten.«
Burton rieb die Sohlen seiner Schuhe am eisernen Fußabstreifer auf der Schwelle ab und betrat den heruntergekommenen Hausflur, dessen Wände mit gerahmten Bildern und Photographien, Ziertellern und Kruzifixen übersät
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