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Der kuriose Fall des Spring Heeled Jack: Roman (German Edition)

Der kuriose Fall des Spring Heeled Jack: Roman (German Edition)

Titel: Der kuriose Fall des Spring Heeled Jack: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Hodder
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vorüberging und die letzten Worte des Dichters aufgeschnappt hatte. Swinburne kicherte und erhob die Stimme, sodass weitere Passanten ihn hören konnten: »Die Wahren Libertins zeigen auf die Tausenden Prostituierten auf Londons Straßen und rufen: ›Seht her! Käuflicher Sex! Das ist es, worauf diese Frauen – und Männer! – zurückgreifen müssen, um in eurer sogenannten Zivilisation zu überleben! Wo ist deine vielgepriesene Moral jetzt, liebe Gesellschaft? Wo ist eure Zurückhaltung, eure Ethik des Anstands? Und diese Prostituierten haben Kunden! Männer, deren sexuelle Gelüste nicht innerhalb der Grenzen eurer sogenannten Schicklichkeit befriedigt werden können! Ihr, die Gesellschaft, schafft genau das selbst, worauf ihr herabseht!‹«
    Burton sah sich um, während man ihnen die Köpfe zuwandte und seinen Begleiter missbilligende Blicke trafen. Swinburne fuhr unbeeindruckt fort und nahm seine Predigt mit sichtlichem Genuss wieder auf: »Der Aufrührer dagegen feiert den Akt der Sexualität als den einzigen Ort, an dem Männer und Frauen wortwörtlich und metaphorisch bis auf die nackte Haut ausgezogen und auf ihre reinste Natur reduziert sind – ich meine ›rein‹ im Sinne von ›unbeeinflusst‹ –, die einzige Gelegenheit, bei der wir die künstliche Haut der Gesellschaft abstreifen und ein Gefühl für unsere ureigene elementare Identität gewinnen können.«
    Die beiden Männer bogen nach rechts in die Baker Street ab.
    »Über Scham sagen die Aufrührer: ›Was ist das?‹ Über Tugend: ›Sie fehlt uns nicht.‹ Über die Sünde: ›Lasst sie uns küssen.‹ Und schon ist’s keine Sünde mehr!«
    Burton stieß ein abfälliges Schnauben aus. Dann jedoch, nach einem Moment des Nachdenkens, räumte er ein: »Mit dem grundlegenden Gedanken sympathisiere ich. Jeder intelligente Mann kann sehen, dass uns die scheinheilige Höflichkeit und die einstudierten Manieren unserer Zivilisation knechten und unterdrücken. Ohne Zweifel dienen sie dazu, Diversität zu vernichten, indem sie ein Regime errichten, das intellektuelle, emotionale und sexuelle Freiheit ahndet. Für die Gesellschaft ist es weitaus besser, wenn alle Bürger nach ihrem Diktat erzogen werden und nicht nach eigenen Vorstellungen. Es macht sie zu besseren Sklaven.«
    »Genau so ist es«, stimmte Swinburne ihm zu. »Wer zulässt, dass die eigene Identität vom Empire geprägt wird, ist nichts als eine billige Arbeitskraft! Das ist der Grund, aus dem die Libertins, und die Aufrührer ganz besonders, die Menschen verärgern, beunruhigen – sie sogar ängstigen. Die Bewegung rüttelt an Grenzen, derer sich die Massen noch nicht einmal bewusst sind, eben bis man an ihnen rüttelt. Und es sind diese Grenzen, über die sich die Identität eines Großteils der Bevölkerung definiert und die ihnen sagen, sie seien ein geschätztes Mitglied einer stabilen Gesellschaft. Der Mensch will sich gebraucht fühlen, will wissen, dass er etwas beiträgt, selbst wenn er nur dazu dient, den Heizkessel des Empires anzufeuern! Meine Güte, sieh dir das an!«
    Swinburne deutete auf die Stelle, an der sich eine elefantöse Gestalt aus dem Pesthauch herausschälte. Es war eines dieser neuen Pferde – ein Mega-Zugpferd –, welche die Eugeniker in letzter Zeit entwickelt hatten. Die riesenhaften Tiere maßen bis zum Widerrist viereinhalb Meter (mit dem Stockmaß, das Bandmaß lag vermutlich noch darüber), und verfügten über unglaubliche Kraft. Die Lastkarren, die sie zogen, waren oft von der Größe eines kleinen Hauses.
    Als das hoch aufragende Tier näherkam, pressten sich Burton und Swinburne eng an die Wand des nebenstehenden Gebäudes und versuchten, ihm so fern wie möglich zu bleiben – mit gutem Grund, denn die Mega-Zugpferde besaßen keinerlei Kontrolle über Darm und Blase, waren aber in beiden Bereichen übermäßig leistungsstark. Das hatte sich auf Londons ohnehin schon schmutzigen Straßen als ernsthaftes Problem erwiesen, bis ein Mitglied der Technokraten-Kaste Unternehmergeist bewiesen und die automatischen Säuberer erfunden hatte, gemeinhin als ›Müll-Krabben‹ bekannt, die seither jede Nacht durch die Stadt zogen und die Schweinerei entfernten.
    Das Pferd, das einen Bus hinter sich herzog, kam immer näher an die beiden Männer heran. Als sie auf gleicher Höhe waren, fiel, als hätten sie es geahnt, mit einem platschenden Geräusch einHaufen riesiger Pferdeäpfel zu Boden, spritzte über das Pflaster und verfehlte Burton und

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