Der kurze Sommer der Anarchie
siegreiches Ideal steht. Brüderlichkeit eint unsere beiden Völker, das eine lange Zeit unterdrückt vom Zarismus, das andere von einer despotischen Monarchie. Euch, den Arbeitern der UdSSR, vertrauen wir bei der Verteidigung unserer Revolution. Auf die Politiker aber, die sich Antifaschisten und Demokraten nennen, ist kein Verlaß. Wir glauben nur an unsere Klassenbrüder. Nur die Arbeiter können die Spanische Revolution verteidigen, so wie wir vor zwanzig Jahren für die Russische eingetreten sind.
Ihr könnt uns glauben. Wir sind Arbeiter wie ihr. Wir werden unter keinen Umständen unsere Prinzipien verleugnen, und wir werden den Symbolen des Proletariats, den Werkzeugen unserer Arbeit, Hammer und Sichel, keine Schande machen. Grüße von allen, die mit der Waffe in der Hand an der Aragon-Front gegen den Faschismus kämpfen.
Euer Genosse B. Durruti
Osera, 22. Oktober 1936
Buenaventura Durruti 3
An die russischen Arbeiter
Zahlreiche internationale Revolutionäre, die unserm Fühlen und Denken nahestehen, leben in Rußland. Aber sie sind nicht frei. Sie befinden sich in Isolierzellen, politischen Gefängnissen und Straflagern. Mehrere unter ihnen haben ausdrücklich verlangt, nach Spanien entlassen zu werden, um hier, in vorderster Linie, gegen den gemeinsamen Feind zu kämpfen. Das internationale Proletariat hat kein Verständnis dafür, daß diese Genossen festgehalten werden. Ebensowenig verstehen wir, warum die Verstärkungen und die Waffen, die Rußland nach Spanien schicken will, zum Gegenstand eines politischen Geschäfts geworden sind, das die spanischen Revolutionäre dazu veranlassen soll, ihre Handlungsfreiheit aufzugeben.
Die spanische Revolution muß einen andern Weg als die russische gehen. Sie darf sich nicht nach der Losung entwickeln: »Eine Partei an die Macht, alle andern ins Gefängnis.« Sie hat vielmehr der einzigen Losung zum Sieg zu verhelfen, die der Einheitsfront wirklich dient und sie nicht zu einem Schwindel erniedrigt: »Alle Fraktionen an die Arbeit, alle Fraktionen in den Kampf gegen den gemeinsamen Feind! Das Volk soll entscheiden, welches Regime es wünscht!«
Buenaventura Durruti 5
14. August 1936.
Bujaraloz ist mit rot-schwarzen Flaggen geschmückt, auf Schritt und Tritt begegnet man Verfügungen mit Durrutis Unterschrift oder einfachen Plakaten. »Durruti hat befohlen...« Der Marktplatz heißt »Durrutiplatz«. Durruti und sein Stab sind in dem Häuschen eines Straßenaufsehers an der Chaussee, zwei Kilometer vom Gegner entfernt, einquartiert. Das ist nicht gerade sehr vorsichtig, aber hier krankt alles an der Sucht, demonstrativ Tapferkeit zu zeigen. »Wir fallen oder siegen«, »Sterben, aber Zaragoza erobern«, »Sterben, mit Weltruhm bedeckt«, diese Losungen sind auf Fahnen, Plakaten und Flugblättern zu lesen.
Der berühmte Anarchist war anfangs zerstreut, nachdem er aber in Olivers Brief die Worte »Moskau, Prawda« gelesen hatte, wurde er interessiert. Er begann sofort, hier auf der Chaussee im Kreise seiner Soldaten und in der deutlichen Absicht, ihre Aufmerksamkeit zu fesseln, ein heftiges, polemisches Gespräch. Seine Rede war voll düsterer, fanatischer Leidenschaft. »Möglich, daß nur hundert von uns alles überleben, aber diese hundert werden in Zaragoza einmarschieren, den Faschismus vernichten, das Banner der Anarcho-Syndikalisten entrollen und den freien Kommunismus ausrufen. Ich werde als erster in Zaragoza einziehen und die freie Kommune verkünden. Wir werden uns weder Madrid noch Barcelona, weder Azana noch Giral, weder Companys noch Casanovas unterstellen. Wenn sie wollen, so sollen sie mit uns in Frieden leben, wenn nicht - so marschieren wir auf Madrid los... Wir werden euch Bolschewiki, russischen und spanischen, zeigen, wie man Revolution macht und wie man sie bis zu Ende führt. Ihr habt dort Dikta tur, in eurer Roten Armee sind Oberste und Generale. In meiner Kolonne gibt es weder Kommandeure noch Untergebene, wir haben alle die gleichen Rechte, wir sind alle Soldaten, auch ich bin nur Soldat.«
Er trägt einen blauen Leinenoverall, eine Mütze aus schwarzem und rotem Satin. Groß, athletisch gebaut. Ein schöner, leicht angegrauter Kopf. Gebieterisch beherrscht Durruti seine Umgebung, aber in den Augen hat er etwas übermäßig Gefühlsbetontes, fast Weibliches, manchmal hat er den Blick eines todwunden Tieres. Mir scheint, es mangelt ihm an Willen. »Bei mir dient niemand aus Pflichtgefühl oder um der Disziplin willen. Alle sind nur hier,
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