Der kurze Sommer der Anarchie
haben und die ihre Einheit als bloßen Ableger ihrer Gewerkschaft oder ihrer Partei betrachten. Diese Armee hat sich spontan militarisiert: die Milizionäre sind zu regelrechten Soldaten geworden. Ihre centurias oder Hundertschaften haben sich de facto in Kompanien verwandelt, ihre Kolonnen in Regimenter. Die alten Namen gelten nur noch auf dem Papier.
Auch die Offiziere nennen sich noch »Delegierte«. Jede Gruppe (Zug), jede Hundertschaft (Kompanie), jeder Sektor (Bataillon) und jede Kolonne (Regiment) wählt einen Vertreter, wobei von unten nach oben gewählt wird: die Delegierten der unteren wählen jeweils den der höheren Ebene. Aber die Autorität der Offiziere hat zugenommen; sie macht sich immer stärker geltend. Ihre Wählbarkeit wirkt wie ein Überrest vergangener Zeiten, das Wahlsystem verfällt mehr und mehr. Jedermann begreift, daß man ohne Disziplin keinen Krieg führen kann. In der Theorie stützt sich die Miliz nach wie vor auf den freien Willen, aber praktisch ist diese Freiwilligkeit zur Fiktion geworden. Die Hierarchie, die in allen Armeen herrscht, setzt sich langsam durch. Ich habe in den Schützengräben die Reglements gelesen; ihre Vorschriften werfen automatisch die Frage der Bestrafung von Verstößen auf. In einer Freiwilligen-Armee dürfte es, streng genommen, keine Strafen geben; aber in : der Praxis läßt sich das nicht verwirklichen. Allerdings lehnen i die Milizionäre das alte Militärstrafgesetzbuch ab, das die Regierung provisorisch wieder in Kraft gesetzt hat. Aber es gibt bereits wieder Kriegsgerichte. Kleinere Ordnungswidrigkeiten werden von den Delegierten des Zuges selbst geregelt, schwerere Fälle kommen vor den Chef der Kolonne. Es sind auch schon Todesurteile gefällt worden. Ein Telefonist, der während eines Angriffs geschlafen hat, wurde hingerichtet.
Die Frage der Fahnenflucht ist theoretisch nicht geklärt worden.
Man läßt offen, ob einem Freiwilligen das Recht zusteht, einfach nach Hause zu gehen. In Wirklichkeit läßt man aber nur Ausländern diese Wahl. Wenn ein Spanier die Front verlassen will, macht man ihm zunächst Vorhaltungen, man droht, ihn bei seiner Organisation zu melden und ihm so Schwierigkeiten in der Heimat zu machen. Wenn alles nichts hilft, verweigert man ihm das Transportmittel.
H. E. Kaminski
Mit der Zeit entstand eine Art katalanischer Armee, die mehr von der Generalität abhing als von der Zentralregierung in Madrid. Schon daraus geht hervor, daß die vielbeschriene Losung der Disziplin allenfalls dazu diente, dem Volk Sand in die Augen zu streuen. Die katalanischen Politiker hielten sich an ihren eigenen Vorteil. Was die Zentralregierung betrifft, so erwies sich ihr Versprechen, den anarchistischen Milizen Waffen zu schicken, sobald sie sich militarisiert hatten, als bloßes Erpressungsmanöver. Auch nachdem die Regierung ihr Ziel erreicht hatte, blieben die Einheiten der Anarchisten nach wie vor die am schlechtesten bewaffneten der ganzen Armee.
Jose Peirats 1
Der Anfang vom Ende
Interviewer: Ist es wahr, daß in den Milizen das Reglement und die Hierarchie der alten Armee wieder eingeführt werden sollen? Durruti: Nein, darum geht es nicht. Es sind einige Jahrgänge einberufen worden, und man hat ein einheitliches Oberkommando gebildet. Was die Disziplin betrifft, so stellt der Straßenkampf an sie natürlich geringere Anforderungen als ein langer und schwieriger Feldzug, bei dem man es mit einer modern ausgerüsteten Armee zu tun hat. Es war notwendig, in dieser Hinsicht etwas zu tun.
Interviewer: Und worin besteht nun die Stärkung der Disziplin? Durruti: Bis vor kurzem hatten wir eine unübersehbare Zahl von verschiedenen Einheiten, jede mit ihrem eigenen Chef und mit einem Mannschaftsbestand, der von einem Tag zum andern enorme Schwankungen aufwies, mit ihrer eigenen Ausrüstung, ihrem Troß, ihrer Proviantabteilung; jede mit ihrer eigenen Politik gegenüber der Zivilbevölkerung und oft genug auch mit ihrer eigenen Auffassung vom Krieg. So konnte das nicht weitergehen. Wir haben das verbessert, und wir müssen für weitere Verbesserungen sorgen.
Interviewer: Und wie ist es mit den Diensträngen, der Grußpflicht, den Strafen und Belohnungen?
Durruti: Auf all das können wir verzichten. Wir hier sind allesamt Anarchisten.
Interviewer: Aber die Regierung in Madrid hat unlängst das alte Militärstrafgesetzbuch wieder in Kraft gesetzt. Durruti: Allerdings. Dieser Regierungsbeschluß hat bei der Truppe einen miserablen Eindruck
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