Der Kuss der Göttin (German Edition)
selbst furchtbar niedergeschlagen. »Ich habe nichts dabei, und ich weiß noch nicht, womit ich es zu tun habe. Ich brauche ein bisschen Zeit.«
Benson greift nach meinen beiden Händen; die Geste spricht mehr von Verzweiflung als von Zuneigung. »Es klingt nicht, als hättest du viel Zeit, Tave.«
»Ein bisschen schon«, sage ich und drücke seine Hände. »Es ist nur eine Nacht.«
»Und morgen Nacht?«, fragt er.
»Ich glaube, das entscheide ich morgen.«
K apitel 13
T rotz vehementer Proteste wegen des Regens – der natürlich ungefähr zwei Minuten, nachdem ich in Bensons Auto gestiegen bin, wieder angefangen hat, blödes Wetter – lasse ich mich von Benson eine Seitenstraße von unserem Haus entfernt absetzen. Ich will, dass alles normal erscheint.
Nachdem er mir gesagt hat, ich solle auf mich aufpassen, wollte ich mich vorbeugen und ihn küssen.
Aber ich hielt inne.
Ich kann das nicht – wir können das nicht –, bis ich das geklärt habe.
Ich trotte langsam nach Hause, der Regen tropft mir am Hals herunter. Seine Kälte weckt mich auf. Die kalten Tropfen fühlen sich an wie Nadelstiche, die mir die Haut von den Wangen kratzen, aber sie erden mich, erinnern mich daran, dass ich hier bin. Dass ich am Leben bin.
Dazu brauchte es früher einfache Dinge – das Gefühl von frischer Luft auf der Haut, den Geruch von frisch gebackenem Brot, den Klang von Kinderlachen.
Jetzt müssen meine Erinnerungen derb sein, und ich muss zugeben: Das macht mir Angst.
In meinem Kopf dreht sich alles. Von Reese und Elizabeth verraten zu werden, war schlimm genug. Der Rest ist hart, wenn ich nur daran denke.
Ich kann Dinge erschaffen.
Dinge, die nach ungefähr fünf Minuten wieder verschwinden.
Das ist doch gar nicht so schlecht , versuche ich mir einzureden, als ich auf die Haustür zugehe. Ich atme. Ich bin gesund . Und das scheint sich auch nicht zu ändern. Zumindest nicht in allernächster Zukunft.
Im Sinne von heute Nacht .
Aber der Anblick des Hauses – der Ort, den ich bis zu diesem Nachmittag als mein Zuhause angesehen habe – bringt alles zurück. Die Wahrheit ist: Ich sehe Dinge, die nicht da sind; Menschen jagen und verstecken mich, und, ach ja: Die Gesetze der Physik gelten nicht mehr. Haben die Gehirnchirurgen mir das angetan? Konnte ich es schon vorher? Sterbe ich infolgedessen, oder versucht jemand, mich umzubringen?
Ich weiß nicht einmal sicher, auf welcher Seite meine Tante und mein Onkel stehen.
Ich greife nach dem Türknauf, bringe es aber nicht über mich, ihn zu drehen. Stattdessen setze ich mich auf die oberste Stufe der Veranda, kaum geschützt vor dem Regen, schlinge die Arme um die Knie und ziehe sie eng an die Brust. Seit Stunden rasen meine Gedanken nun schon. Drehen sich immer wieder um dieselben Probleme, Sorgen und Verdächtigungen, bis mein Gehirn sich körperlich müde anfühlt.
Das Ganze mit Quinn und jetzt Benson gibt mir den Rest. Ich weiß nicht recht, ob ich damit umgehen kann, wenn sich die Sache mit Benson ändert – selbst eine gute Veränderung. Er ist mein Fels, das einzig Stabile im Wirbelsturm meines Lebens.
Aber das Gefühl seiner Lippen auf meinen …
Ich reiße die Hand weg, deren Finger vorsichtig meinen Mund berührt und diese Minuten noch einmal erlebt haben. Perfekte Minuten.
Nicht jetzt.
Erst muss ich die Sache mit Quinn klären.
Quinn, in den ich vielleicht verliebt bin.
Es klingt verrückt, aber ich habe noch nie in meinem Leben solche überwältigenden Gefühle empfunden. Es ist wie Treibsand, der droht, mich in die Tiefe zu ziehen, je mehr ich dagegen ankämpfe. Bei ihm fühle ich mich wie jemand, von dem ich weiß, dass ich es nicht bin – jemand, der Risiken eingeht, die Logik über Bord wirft, alles für den Kick auf eine Karte setzt.
Ich war schon vorher einmal eine Fremde in meinem eigenen Körper und die Ähnlichkeiten gefallen mir nicht.
Wenn es nur eine Frage des Herzens wäre. Aber Quinn hat Antworten; da bin ich mir sicher. Er kennt mich. So, wie er mich ansieht – als höre er meine innersten Gedanken, sei in meine dunkelsten Geheimnisse eingeweiht. Als wisse er mehr über mich als ich selbst.
Vor einer Woche war ich ganz normal in Benson verknallt. In den verlässlichen, bequemen Benson. Jetzt bin ich in eine intensive körperliche Beziehung mit ihm übergegangen, während ich von einem anderen Kerl besessen bin, den ich nicht finden, nicht kontaktieren kann – und dennoch fühle ich mich durch ihn lebendiger als je zuvor
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