Der Kuss der Göttin (German Edition)
mich zu ihr herum. »Declarare fidem!« Meine Hand zittert – eine Hand, die sich nicht wie meine anfühlt. Was sind das für Worte? Was tue ich da? Ich unterdrücke ein Schluchzen, als alles, von dem ich dachte, ich wüsste es über mich selbst, sich in Luft auflöst.
Ich bin ein Monster.
»Curatoria« , keucht sie.
»Was hast du gerade gesagt?«, flüstert Benson.
»Ich habe keine Ahnung«, flüstere ich zurück.
Und ich weiß es wirklich nicht. Aber ich sollte! Ich bin mir sicher, ich sollte! Genauso sollte ich die Bedeutung all der Worte kennen, die Elizabeth gerade gesagt hat. Ich schiebe diese Gedanken weg, spanne den Hahn der Pistole und lasse das gruslige Klicken das Büro ausfüllen. »Du willst, dass ich dir vertraue; warum hast du dann eine Waffe auf mich gerichtet?«
»Weil ich nicht wusste, wie viel du über deine Kräfte weißt«, antwortet Elizabeth sofort; sie muss den Hals unangenehm verdrehen, um mich sehen zu können. »Wie viel Kontrolle du hast.«
Es gefällt mir nicht, aber was kann ich tun? Es könnte wirklich sein, dass ich gefährlich bin. Wahrscheinlich hätte ich sie töten können. Ich frage mich, ob sie die Pistole auch in ihrem Büro hatte, ob sie jedes Mal nervös wurde, wenn ich in ihr Wartezimmer kam.
Ihr leeres Wartezimmer.
Es ist immer leer.
Ich bin so eine Idiotin.
Wie kommt es, dass ich alles erst sehe, wenn es zu spät ist?
Das Wartezimmer war immer leer, jedes Mal, wenn ich eine Sitzung bei ihr hatte – abgesehen natürlich von Sekretärin Barbie. Jedes. Mal. Selbst wenn ich unangekündigt vorbeikam. Ich schätze, ich dachte mir, es sei keiner länger als unbedingt nötig da, weil sich schließlich keiner ernsthaft in der Praxis einer Seelenklempnerin erwischen lassen will.
Aber ich hätte es früher erkennen müssen.
»Ich will Antworten!«, sage ich fieberhaft. »Und wenn du lügst, siehst du mich nie wieder.«
Zu meiner Überraschung lächelt Elizabeth. Kein spöttisches, grausames Lächeln, sondern ein freundliches, erleichtertes . Ich kapiere es nicht, und einen Augenblick lang bringt es mich aus dem Gleichgewicht.
Aber ich grabe die Zehen in den Boden, um bessere Balance zu bekommen – ein alter Yoga-Trick. »Das werde ich nicht«, sagt Elizabeth und verharrt regungslos wie eine Statue – wahrscheinlich keine einfache Leistung.
Ich schlucke den Kloß in meinem Hals herunter. Ich darf jetzt nicht anfangen, mich schuldig zu fühlen.
»Hast du noch andere Patienten außer mir?« Beginne mit etwas, das du schon herausgefunden hast.
»Im Moment nicht.«
Ich wippe ein bisschen auf den Fersen, schockiert von ihrer Ehrlichkeit. »Bist du wirklich Doktorin?«
»Psychiaterin? Ja.« Sie lacht leicht, dann verzieht sie das Gesicht, als sie versucht, eine bequemere Position einzunehmen. »Glaub mir, das Medizinstudium war kein Spaziergang.«
»Und warum arbeitest du dann für Reese? Und versuch nicht, es abzustreiten!«, warne ich. »Ich habe euch zwei gestern am Telefon reden gehört.«
»Na super. Einfach super«, brummt sie, dann richtet sie ihre Aufmerksamkeit auf mich. »Ich streite nicht ab, dass ich mit Reese arbeite«, sagt sie vorsichtig, »aber um die ganze Wahrheit zu sagen: Ich arbeite nicht für sie. Wir arbeiten beide für die Curatoria.«
Schon wieder das unbekannte Wort. Ich ignoriere es – tue so, als wüsste ich genau, was es heißt. »Warum diese Scharade?«
»Um dir die Chance zu geben, wieder gesund zu werden, bevor …«
Die Haustür fliegt auf und unterbricht sie. »Nicht schießen!«, schreit Jay. »Tavia, bitte, tu das nicht!«
Meine geliehene Pistole schwingt zu Jay herum, dann zurück zu Elizabeth. Ich fühle Benson hinter mir, der mir in Gedanken zu verstehen gibt, ich solle vorsichtig sein, aber jetzt sind es zwei von ihnen, und ich weiß nicht, wer die größere Bedrohung ist.
Jay , beschließe ich; Elizabeth wird in Schach gehalten – zumindest im Augenblick, obwohl das Metall sicher bald anfangen wird zu verschwinden. Ich wende mich Jay zu, als er oben an der Treppe ankommt.
»Nicht schießen«, keucht er und hebt eine Hand, mit der anderen hält er sich die Seite. »Ich bin es nur.«
Als würde das irgendetwas ändern.
»Mark, sie weiß es«, sagt Elizabeth.
Mark?
»Liz«, schilt er; sein Blick ist wachsam. Und müde. Er sieht aus, als habe er seit Tagen nicht geschlafen. Ich sehe wahrscheinlich ähnlich aus. Sein Blick geht zwischen Elizabeth und mir hin und her, und ich kann erkennen, dass er verzweifelt
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