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Der Kuss der Göttin (German Edition)

Der Kuss der Göttin (German Edition)

Titel: Der Kuss der Göttin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aprilynne Pike
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Omen sehen, aber eigentlich ist es nur wieder ein Zeichen dafür, wie kaputt die Welt ist.
    Der Weg ist matschig und glitschig von nassem Gras, und junge Blätter lassen Wassertröpfchen auf unsere Köpfe fallen, wenn wir sie streifen. Aber wir müssen nicht weit gehen; der Weg endet, wo einmal ein weißer Lattenzaun war, wie ich weiß. Es ist allerdings nichts mehr von ihm übrig.
    Vom Zaun oder vom Haus.
    Enttäuschung steigt in mir hoch. Es war dumm zu glauben, Quinns Haus sei noch hier und sähe genauso aus wie auf dem Bild. Ich suche mir einen Weg durch Generationen von gefallenem Laub und rufe mir in Erinnerung, dass zwei Jahrhunderte eine lange Zeit sind. Mein Blick folgt dem Weg zum Haus, das unsichtbar ist, abgesehen von der Erinnerung, die sich genauso nach meiner anfühlt wie nach der von Quinn.
    Ich trete näher, dorthin, wo das Haus einmal war.
    Man sieht jetzt fast nichts mehr – ein unterbrochener Umriss dessen, was vielleicht einmal ein Fundament war, überzogen von grünem Moos. Ein Haufen alter Steine deutet an der Nordseite auf einen Kamin hin, doch es könnte genauso gut ein Steinhaufen sein, den Kinder vor zwanzig Jahren aufgetürmt haben. Meine Zehen finden die Kante einer Steinbarriere, die mehr oder weniger gerade verläuft, und ich folge ihr vorsichtig und hoffe, dass sie mir das Gebäude näherbringt, das hier vor so langer Zeit stand. Erst als sie um die dritte rechtwinklige Ecke führt, bin ich mir sicher, dass dies wirklich das Fundament war.
    »Wow«, flüstert Benson, als ich wieder bei ihm bin und er zum selben Ergebnis kommt. »Das ist es wirklich.«
    Das ist es.
    Ich fühle es.
    Es ist das Gefühl der Vertrautheit, das ich in Camden erwartet hatte. Und jetzt verstehe ich – es ist nicht die Stadt, es ist hier . Dieser Ort. Hier wollte Quinn mich haben.
    Als könne er seinen Namen in meinen Gedanken hören, schwingt Quinns Anwesenheit in mir, erfüllt meine Seele mit einer lautlosen Musik wie die Vibrationen einer riesigen Glocke. Mein Rucksack gleitet mir von den Schultern. Hier, wo ich stehe, war der Hauseingang. Es war kein großes Haus – nicht, dass Häuser damals allgemein groß gewesen wären. Aber groß genug für einen.
    Zwei , flüstert es in meinem Kopf, und ich fauche beinahe laut aus Eifersucht, während ich den Gedanken fortschiebe. Warum bin ich eifersüchtig? Ich will Quinn nicht! Er ist nicht einmal real!
    Und Benson ist hier. Benson, der sich für mich verprügeln ließ. Der mich letzte Nacht warmgehalten hat.
    Ich zwinge meinen Blick zurück zu der Andeutung von Ruinen und stelle mir vor, wie das Haus aussah, soweit ich es nach dem kurzen Blick auf das Gemälde in Quinns Geheimversteck beurteilen kann. Gelb, mit glatter Holzvertäfelung. Zwei Fenster links und rechts von der Tür.
    Und Vorhänge . Der Gedanke kommt ungebeten. Rot karierte Baumwollvorhänge .
    Das Bild blitzt so lebendig in meinem Kopf auf, dass ich einen Schritt zurücktrete und aufblicke.
    Zu einem Haus.
    Einem realen Haus.
    Nicht wirklich real , erinnere ich mich, während ich über die Vision nach Luft schnappe. Es ist wie Quinn – es sieht echt aus, kann es aber nicht sein.
    Wo ich jetzt stehe, war die Eingangsveranda. Sie spannt sich über die ganze Hausbreite und dünne weiße Säulen stützen das Dach. Glitzernde Windspiele wiegen sich in einer sanften Brise.
    Windspiele.
    Genau wie die, die ich bei Reese und Jay auf die Veranda gehängt habe.
    Ich habe sie selbst quer über die Vorderveranda gespannt. Hatte sie vor ein paar Monaten auf einem Flohmarkt in der Stadt gefunden. Reese hatte gelacht und gesagt, ich könne ein Dutzend davon aufhängen, wenn ich wollte.
    Also habe ich es getan.
    Quinns Haus hatte auch Windspiele.
    Jetzt sehe ich schon Verbindungen, wo eigentlich gar keine sind, schelte ich mich selbst. Massenhaft Leute sammeln Windspiele.
    Natürlich sehe ich in letzter Zeit eine Menge Dinge, also ist das wahrscheinlich nicht das beste Argument.
    Doch als ich zur Haustür schaue, kann ich ein Luftschnappen nicht unterdrücken.
    Ein goldenes Dreieck glüht so hell über der Tür, dass man es kaum anschauen kann. Kühn und unübersehbar, könnte hier auch genauso gut wörtlich ausgeschrieben stehen: Dies ist das Haus eines Erdgebundenen.
    Die Tür scheint mich zu sich zu winken, lockt mich, und auch wenn ein rationaler Teil meines Verstandes weiß, dass sie nicht echt ist, kann ich nicht widerstehen. Ich trete vor und strecke die Hand aus.
    Sie schmilzt direkt durch den Türknauf.

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