Der Kuß der Schlange
ehrlich.«
»Hatte er eine Schwäche für Frauen?«
Wieder lachte William Butler keckernd und schüttelte heftig den Kopf. »Er war fünfzehn, als er hier anfing, und schon damals lief er mit seiner späteren ersten Frau herum. Die beiden waren weiß Gott wie viele Jahre verlobt. Ich sage Ihnen, Bob war so borniert, so durch und durch verklemmt, der wußte nicht mal, daß es auf Erden noch andere Frauen gab. Wir hatten hier eine sehr hübsche Schreibkraft, aber gemessen an der Notiz, die er von ihr nahm, hätte sie eine Schreibmaschine sein können. Nein, und das war auch der Grund, weshalb er so verrückt war nach dieser Angela. Völlig verdreht war er, wie ein dummer, romantischer Schuljunge. Eines Tages wachte er auf, und die Schuppen fielen ihm von den Augen. Ist ja oft so. Und diese Spätentwickler sind die schlimmsten.«
»Dann hat er sich vielleicht, nachdem er aufgewacht war, auch noch ein bißchen weiter umgesehen?«
»Vielleicht hat er, aber da kann ich Ihnen nicht weiterhelfen. Sie meinen, er könnte diese Angela um die Ecke gebracht haben?«
»Darauf möchte ich mich lieber nicht festlegen, Mr. Butler«, sagte Wexford und verabschiedete sich.
Howard Fortune war ein großer, hagerer Mann, knochendürr trotz seines enormen Appetits. Er hatte das aschblonde Haar der Wexfords, eine Farbe wie verblichenes, braunes Papier, und ihre hellen, graublauen Augen, klein und scharf. Trotz ihres unterschiedlichen Körperbaus hatte er seinem Onkel schon immer ähnlich gesehen, und jetzt, da Wexford so viel Gewicht verloren hatte, war die Ähnlichkeit noch größer geworden. Wie sie sich so gegenübersaßen in Howards Arbeitszimmer, hätten sie Vater und Sohn sein können, zumal – abgesehen von der Ähnlichkeit – Wexford es jetzt fertigbrachte, mit seinem Neffen genauso familiär zu reden wie etwa mit Burden, und Howard seinerseits ihm jetzt ohne jene frühere Rücksichtnahme und taktvolle Vorsicht Rede und Antwort stand.
Ihre Frauen waren unterwegs. Nachdem sie den Tag mit Einkäufen verbracht hatten, waren sie jetzt ins Theater gegangen, und Onkel und Neffe hatten allein zu Abend gegessen. Und nun, während Howard seinen Cognac trank und er sich mit einem Glas Weißwein begnügte, verbreitete sich Wexford über die Theorie, die er am Abend zuvor zur Debatte gestellt hatte.
»Soweit ich es sehe«, sagte er, »besteht die einzige Möglichkeit, Hathalls Entsetzen zu erklären – und es war Entsetzen, Howard –, darin, daß er den Mord an Angela mit Hilfe einer Komplizin arrangiert hat.«
»Mit der er auch eine Liebesaffäre hatte?«
»Vermutlich. Das war wohl das Motiv.«
»Ein reichlich dünnes Motiv heutzutage, oder? Scheidung ist ziemlich einfach, und Kinder waren ja auch keine da.«
»Du übersiehst den Kern der Sache.« Wexford sagte es mit einer Schärfe, die früher unmöglich gewesen wäre. »Selbst bei diesem neuen Job hätte er sich zwei abgeschobene Ehefrauen nicht leisten können. Und er ist außerdem genau der Mensch, der einen Mord praktisch für gerechtfertigt hält, wenn dieser Mord ihm weitere Belastungen vom Hals schafft.«
»Dann wäre also seine Freundin nachmittags ins Haus gekommen …«
»Oder sie wurde von Angela abgeholt.«
»Das kann ich mir nicht denken, Reg.«
»Eine Nachbarin, eine Frau namens Lake, sagt, Angela habe ihr erzählt, sie wolle wegfahren.« Wexford nippte an seinem Glas, um die leichte Verwirrung zu kaschieren, die ihn allein schon bei der Erwähnung von Nancy Lakes Namen befiel. »Das darf man dabei nicht vergessen.«
»Na gut, vielleicht. Das Mädchen tötete also Angela, indem sie sie mit einer goldenen Halskette erdrosselte, die bisher nicht gefunden wurde. Dann säuberte sie das ganze Haus von ihren Fingerspuren, ließ aber einen Abdruck seitlich an der Badewanne zurück. Ist das deine Theorie?«
»Das ist meine Theorie. Dann fuhr sie Robert Hathalls Wagen nach London und ließ ihn in Wood Green stehen. Vielleicht fahre ich morgen mal dorthin, aber viel Hoffnung habe ich nicht. Es ist doch sehr wahrscheinlich, daß sie so weit wie möglich von Wood Green entfernt wohnt.«
»Und dann willst du doch noch zu diesem Spielzeugfabrikanten in – wie heißt das doch gleich? – Toxborough? Ich verstehe gar nicht, weshalb du dir das bis zuletzt aufhebst. Er hat doch immerhin seit seiner Heirat bis zum letzten Juli dort gearbeitet.«
»Und genau das ist der Grund dafür«, sagte Wexford. »Es ist möglich, daß er diese Frau schon kannte, bevor er Angela
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