Der Kuss des Anubis
Sobeks*«, sagte er mit einem Schulterzucken. »Sie müssen ihn so zugerichtet haben. Der ganze Fluss wimmelt von Krokodilen, jetzt wo die Flut kommt und mit ihr alle Wesen, die sich im Wasser tummeln. Wir haben ihn heute in der Morgendämmerung herausgefischt. Vielleicht ist er ertrunken, für wahrscheinlicher aber halte ich, dass er bereits tot war und man ihn im Wasser lediglich entsorgt hat.«
Eine müde Geste. Man sah ihm an, dass er seit Langem auf den Beinen war.
»An der Leiche konnte ich weder Würgemale noch
Stiche feststellen. Daher tippe ich auf Gift.« Er hielt kurz inne. »Vielleicht Schlangengift«, setzte er dann hinzu.
Plötzlich schien die ganze Luft geschwängert vom lauen, unerträglich süßlichen Leichengeruch. Miu schluckte und schluckte, weil ihr auf einmal entsetzlich flau zumute wurde, dann streckte sie ihre Hand aus und suchte vergeblich nach einem Halt.
»Miu!«, hörte sie Großmama noch aufgeregt rufen, während der Fußboden schon viel zu schnell näher kam. »Du wirst uns doch jetzt nicht …«
Mehr hörte sie nicht, denn etwas großes Schwarzes schoss auf sie zu, riss sie mit und verschluckte sie.
Als sie wieder zu sich kam, verhüllte etwas Zartes ihr Gesicht, das die Sonne abhielt. Der Untergrund, auf dem ihr Rücken lag, war hart, und dennoch lag sie einigermaßen bequem, den Kopf auf etwas Festes gebettet, das sich gut anfühlte.
Anis Unterarme!
Miu rückte verlegen ein Stück zur Seite. Sie schob das dünne Tuch von ihrem Gesicht und musste blinzeln, so hell war es auf einmal wieder. Jetzt kehrte auch der widerliche Geruch von vorhin zurück, wenngleich in abgeschwächter Form.
Ihr Magen zog sich abwehrend zusammen.
»Nur nicht so hastig!« Ipi, der sich über sie gebeugt hatte, klang besorgt. »Sie sollte sich noch eine ganze Weile vorsichtig bewegen. Vielleicht hättest du ihr den toten Kerl besser doch nicht zeigen sollen, Polizist …«
»Unsinn!« Miu setzte sich auf, um diesem widerlichen Aroma zu entgehen. Dann berührte sie ihren Schädel. Am Hinterkopf ertastete sie eine stattliche Beule, von der sie schnell wieder die Finger ließ, aber sonst schien alles in Ordnung. »Mir fehlt nichts. Vorausgesetzt, du lässt mich endlich in Frieden, Ipi!«
Beleidigt verzog er sich.
»Wenigstens weißt du jetzt, dass ich neulich die Wahrheit gesagt habe«, fuhr Miu fort, an Ani gerichtet. Sie war heilfroh, dass dieser Widerling Ipi endlich weg war. »Obwohl du sie ja nicht hören wolltest. Ich blute doch nicht etwa?«, sagte sie gepresst.
»Nein, nirgendwo. Du hast großes Glück gehabt«, erwiderte Großmama. »Aber uns solch einen Schrecken einzujagen, mein Mädchen!«
»Wir müssen zum Palast.« Der junge Polizist hatte sich ebenfalls erhoben und versuchte, seinen zerknitterten Schurz halbwegs glatt zu streichen. »Pharao Tutanchamun, er möge leben, heil und gesund sein, soll auf der Stelle erfahren, was ihm droht. Er muss uns anhören! Ich weiß nur noch nicht genau, wie wir das anstellen sollen.«
»Da waren wir schon«, sagte Miu. »Großmama und ich. Der Pharao hat uns empfangen und ich habe ihm alles erzählt - persönlich.« Außerdem hat er mich sofort wiedererkannt, fügte sie stumm hinzu. Weil uns beide nämlich eine alte Geschichte verbindet. Sein Blick hat mich gewärmt. Und seine Ohren gefallen mir eigentlich sogar ganz gut. Aber das werde ich ausgerechnet dir nicht verraten!
»Du warst bei Hof und hast mit dem Pharao gesprochen?«, sagte Ani ungläubig.
»Du hast ganz richtig gehört«, sagte Raia. »Glücklicherweise hat man uns dort sehr ernst genommen, so jedenfalls mein Eindruck.«
Ani schien gar nicht richtig zuzuhören.
»Aber wie ist euch das nur gelungen?«, sagte er kopfschüttelnd. »Eine Audienz zu bekommen, ist ein Ding der Unmöglich …«
»Der Pharao hat mir geglaubt«, fiel Miu ihm ins Wort. »Das weiß ich genau.« Es fiel ihr nicht leicht, mit Ani darüber zu sprechen, weil sie alles am liebsten ganz für sich behalten hätte. »Aber jetzt hat die Lage sich verändert. Der Warzenkerl ist tot, während der andere noch irgendwo lebendig herumläuft. Wir müssen überlegen, was das zu bedeuten hat: dass der Warzenkerl seinen schändlichen Auftrag bereits erledigt hat und der König …« Sie konnte plötzlich nicht mehr weiterreden. Die Angst um Tutanchamun überwältigte sie.
»Oder man hat sich seiner entledigt, weil er versagt hat, und stattdessen einen neuen Attentäter beauftragt«, wandte Ani ein, der sich langsam wieder
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