Der Kuss des Anubis
im Sud gegart, Tauben und Wachteln, frische und gepökelte Fische, dazu Lattich, Zwiebeln und Lotussamen. Der Tisch quoll über von Fladenbroten und Mandelkuchen. Tahebs Beitrag zur Feier bestand in einem halben Dutzend kross gebratener Gänse, die hier ebenso großen Anklang fanden wie sonst in ihrer Schenke.
»Wie sehr ich Sheribin beneide!«, sagte Taheb, während Miu an einem Gänsebein nagte. »Brautmutter zu sein - und irgendwann einen ganzen Stall voller Enkel zu haben. Aber wie ich meinen Jungen kenne, werde ich wohl noch sehr lange darauf warten müssen.«
»Wenn dein Junge sich nicht bald besinnt, wird ihn womöglich gar keine mehr wollen«, mischte Nefer sich ein. »Und all die jungen Frauen wären nicht einmal schlecht beraten. Denn wer Mutter und Vater nicht zu ehren weiß, der wird auch sein Weib nicht gut behandeln!«
Taheb runzelte die Stirn, blieb aber zunächst stumm, während Nefer sich umsah, als erwarte er Zustimmung.
»Meinst du nicht, es liegt auch ein wenig an dir?«, sagte sie schließlich. »Beinahe hätten wir unseren Sohn nicht mehr lebend zurückbekommen. Wenn du nur wolltest, so könntet ihr beide …«
»Ja, nimm ihn nur wieder in Schutz, deinen Liebling!«, zischte Nefer. »Stets kommt er an erster Stelle und nicht ich, dein Mann, wie sich das eigentlich gehört. Ani vorne, Ani hinten - ich kann es nicht mehr hören!«
Er sprang auf und lief quer über den Hof zu Sheribin, die ihn mit erfreutem Lächeln empfing.
»Sie verstehen sich nicht«, sagte Miu leise. »War es früher nicht ganz anders zwischen Ani und seinem Vater?«
»Manchmal erkenne ich ihn kaum wieder.« Taheb schien zu sich selber zu sprechen. »Wo ist der Nefer geblieben, den ich in jungen Jahren geheiratet habe? Dieser unzufriedene, rasch aufbrausende Grobian von heute ist mir so fremd geworden!«
Nefer hatte seinen Becher ausgetrunken und ließ sich von Sheribin sofort neu einschenken. Viele taten es ihm nach. Eine betrunkene, raue Fröhlichkeit verbreitete sich und die ersten Aufschneidersprüche wurden laut.
»Hast du dir das wirklich gut überlegt, Kenamun?«, rief ein junger Steinmetz in die Runde. »Denn besonders viel wirst du ab jetzt nicht mehr zu melden haben. Eine Frau belehren zu wollen, heißt, einen Sandsack zu füllen, der an der Seite aufgeschlitzt ist.«
Schallendes Gelächter, vor allem von Männerseite.
»Nur ein Narr giert nach einer Frau wie die Fliege nach Blut«, versuchte der Nächste, ihn zu übertrumpfen. »Ginge es uns ohne Weiber nicht viel besser?«
»Vor allem musst du ihr zeigen, wer Herr im Haus ist«,
rief ein anderer Gast und prostete dem frisch gebackenen Ehemann übermütig zu. »Und damit kannst du gar nicht früh genug anfangen. Sonst tanzt sie dir auf dem Kopf herum, so wie Mäuse durchs Haus tanzen, wenn die Katze Ausgang hat.«
»Geht das immer so?«, fragte Miu halblaut. »Dass sich die jungen Kerle derartig aufplustern, wenn einer von ihnen heiratet?«
Taheb zuckte resigniert die Schultern. »Bier hat ihnen die Zunge gelöst. Spätestens wenn ihnen am nächsten Morgen der Schädel brummt, werden sie schwören, niemals mehr auch nur den allerkleinsten Schluck zu trinken! Es sind Männer - du kannst sie einfach nicht ändern!« Sie reckte den Hals. »Was geht denn da im Haus Seltsames vor sich? Hörst du das nicht, Miu?«
Aufgeregte Stimmen wurden laut. »Das hier ist eine Hochzeitsfeier!«, rief eine Frau. »Ihr könnt doch nicht einfach so hereinplatzen …«
Zwei Männer standen plötzlich mitten in der Festgesellschaft, Angehörige der Leibgarde des Pharaos, wie Miu an ihrer Aufmachung erkannte. Ihren Schurz zierte eine rote Borte; im Gürtel steckten Dolch und Schleuder.
»Die Tochter des Balsamierers?«, rief einer von ihnen, ein Mann mit schweren Lidern und knochigen Wangen.
»Hier.« Miu stand auf. »Das bin ich.«
»Augenblick!« Blitzschnell hatte Ani sich vor ihr aufgebaut. »Was wollt ihr von dem Mädchen? Sie steht unter meinem Schutz!«
»Königlicher Befehl. Wir nehmen sie mit. Und jetzt geh uns aus dem Weg, Hinkefuß!«, rief der Leibgardist und sein Gesicht färbte sich dunkel.
Anis Hand tastete zum Gürtel, aber er war waffenlos zur Hochzeit gekommen.
»Wohin bringt ihr sie?«, rief Taheb erschrocken. »Ich kenne sie seit dem Tag ihrer Geburt. Meine kleine Nichte ist unschuldig!«
Sie erhielt keine Antwort. Stattdessen versetzte der knochige Wächter Miu einen leichten Schubs.
»Mach schon«, sagte er. »Der Pharao wartet nicht
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