Der Kuss des Anubis
Tode hetzen willst«, sagte sie. »Im Badezimmer steht frisches Wasser. Und etwas zu essen gemacht habe ich dir auch.«
Seine Augen waren winzig. Es fiel ihm sichtlich schwer, sie überhaupt offen zu halten.
»Es bringt mich noch um den Verstand, dieses ständige Durcheinander von Tag und Nacht«, murmelte er. »Wenn es hell geworden ist, muss ich schlafen gehen, und sobald es dämmert, meinen Dienst antreten. Wie soll man da noch klar denken können?«
»Soll das denn noch lange so weitergehen?«, fragte Taheb. Am liebsten hätte sie ihn in die Arme genommen und gewiegt wie früher, doch diese Zeiten waren leider für immer vorbei. »Ihr werdet ja noch krank dabei!«
»Keine Ahnung!« Ani rieb sich die Augen. »Bis jetzt haben wir weniger als nichts, falls du das wissen willst. Und Userkaf wird von Tag zu Tag immer muffiger. Aber was sollen wir machen? Wir können doch keine Unschuldigen verhaften, nur damit er ein Resultat vorweisen kann und endlich Ruhe gibt!«
Taheb stand auf. »Wahrscheinlich braucht ihr nichts als Geduld«, sagte sie. »Geduld ist das ganze Geheimnis. Es wird sich auf der anderen Seite der Mauer herumgesprochen
haben, dass ihr nun jede Nacht Wache schiebt - falls es diese Grabräuber wirklich gibt. Deshalb passen sie jetzt besser auf, doch über kurz oder lang werden sie sich daran gewöhnt haben. Dann könnten sie unvorsichtig werden und eure Falle schnappt zu!«
»Welche Falle, Mutter?« Trotz seiner Übermüdung verspürte Ani Lust, laut zu lachen. »Bislang haben wir ja noch nicht mal einen halbwegs vernünftigen Plan! Dabei versuche ich ständig, eine Art Strategie zu entwickeln, während Imeni nicht damit aufhört, mir die Ohren über die Nachtmeerfahrt der Sonne vollzuquatschen, kaum dass es dunkel geworden ist. Offenbar hat er seinen Beruf verfehlt: Nicht Polizist, sondern Märchenerzähler hätte er werden sollen, der mitten auf dem Markt seine Geschichten feilbietet!«
Er schwang sich aus dem Bett, streckte sich und ging hinüber zu dem Stuhl, wo frische Leinentücher lagen. Dabei zog er sein Bein stärker nach als sonst.
»Es braucht eben manchmal ein bisschen länger als der restliche Körper«, sagte er, weil ihm Tahebs verstohlener Blick keineswegs entgangen war. Wie gut, dass sie nicht wusste, wie sehr Userkaf ihn unter Druck gesetzt hatte, sonst hätte sie sich nur noch mehr gesorgt! »Dein Mitleid, Mutter, kannst du übrigens gleich wieder vergessen: Wir zwei kommen meistens ganz gut miteinander klar.«
»Du solltest dir eine Frau suchen«, sagte sie, schon halb im Gehen. »Warte besser nicht mehr zu lange damit!«
»Weshalb? Damit ich mir eine Krücke ersparen kann?«
»Sei nicht zynisch, Ani. Muss ich dir wirklich sagen, wozu ein junger Mann wie du eine Frau braucht?«, erwiderte Taheb ernst.
»Musst du nicht.« Er hielt den Kopf gesenkt.
»Sag, sollen wir nicht mal wieder Miu zu uns einladen? Vielleicht am Nachmittag, sobald du ausgeschlafen hast?«
»Ausgerechnet Miu!« Jetzt klang sein Lachen bitter. »Spar dir den Aufwand. Weißt du denn nicht, was für Flausen sie im Kopf hat, seitdem Raia und sie im Palast waren?«
Taheb zuckte die Schultern.
»In den Pharao ist sie verschossen, unsere kleine Miu, auch wenn sie es natürlich lautstark bestreiten würde.Aber heimlich träumt sie nur noch von Tutanchamun!«
»Und das bereitet dir Kummer?« Tahebs Stimme war sehr sanft.
»Mehr als du vielleicht denkst, auch wenn es dich im Grunde nichts angeht«, sagte Ani, nahm das Leinentuch und humpelte aus dem Zimmer.
Wie lange mochte sie schon hier sein?
In dieser aufregenden Umgebung lief die Zeit offenbar nach anderen Regeln ab. Zwar kam es Miu vor wie eine kleine Ewigkeit, seitdem die großen Tore sich hinter ihr geschlossen hatten, doch nun schien der Augenblick stillzustehen.
Von dem verschwitzten Mädchen in seinem zerknitterten Kleid jedenfalls, das die Leibwache des Königs im Palast der leuchtenden Sonne abgeliefert hatte, war nicht mehr viel übrig geblieben. Dienerinnen, darunter die beiden schönen Nubierinnen vom Bootsausflug, hatten sie in Empfang genommen, in ein Nebengebäude geführt und angewiesen, sich dort auszuziehen. Zuerst hatte Miu sich
geweigert, doch als schließlich die Königsamme aufgetaucht war, um ihr zu erklären, dass dies alles bloß eine Vorbereitung für den Besuch beim Pharao sei, hatte sie schließlich doch eingewilligt.
Nach einem ausgiebigen Bad zwischen Wasserlilien und Seerosen ruhte sie auf heißen Steinen, wo man
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