Der Kuss des Anubis
aufgegeben?«, sagte Ani, der sich plötzlich schämte. Wie hatte er Imeni nur misstrauen können! Schuld daran war einzig und allein Userkaf, der ihn so unter Druck gesetzt hatte. Aber damit war jetzt Schluss! Sollte der Vorgesetzte ihn doch rauswerfen, wenn er ihn unbedingt mundtot machen wollte. Wahrscheinlich war das ohnehin längst beschlossene Sache und Userkafs Gerede über eine Bewährungszeit nichts als Augenwischerei!
Ani zog vor Kälte die Schultern hoch. Sein Rücken war so steif wie ein Brett. Wie sehr er den Kollegen um seine eben noch geschmähten Decken beneidete!
»Natürlich nicht! Ich habe meinen Glauben an unsern Beruf niemals verloren und liebe nach wie vor die Gerechtigkeit.« Imeni musterte ihn prüfend. »Und jetzt schluck endlich deinen Stolz runter und nimm dir die obersten beiden Decken! Ein erfrorener Polizist kann schließlich keine Diebe fangen!«
»Danke«, sagte Ani nach einer Weile. »Fühlt sich gleich viel besser an. Was meinst du, Imeni, wenn wir beide vielleicht zu einer anderen Zeit zum Wüstendorf …«
»Allein mit Reden hat noch keine Biene jemals Honig gemacht. Wenn du etwas ändern willst, dann tu es, verstanden? Und jetzt reich mir den Weinkrug rüber«, verlangte Imeni. »Denn ein Polizist, der an Durst gestorben
ist, kann garantiert keine Heldentaten mehr vollbringen!«
Inmitten all der halb geleerten Schälchen und Teller, der Näpfe und Platten stolzierte die junge Feuerkatze herum, so munter und selbstbewusst, als wäre es ihr ureigenstes Revier. Mal nahm sie da einen Bissen, mal leckte sie dort ein Restchen auf, was Tutanchamun sehr zu amüsieren schien.
»Du siehst, wir beide sind schon die dicksten Freunde geworden«, sagte er, während er dem Tier einen besonders knusprig gebratenen Streifen Antilopenfleisch zuwarf, den es augenblicklich verschlang. »Ein Leben ohne dein Geschenk mag ich mir gar nicht mehr vorstellen!«
»Bei uns zu Hause werden Katzen allerdings um einiges besser erzogen«, erwiderte Miu. »Wir alle lieben Katzen. Doch etwas vom Tisch zu betteln, ist bei uns strengstens verboten.«
Die Katze schien genau zu wissen, dass von ihr die Rede war, und kam noch näher. Sie senkte das rötliche Köpfchen mit den schönen schwarzen Linien um die Augen, drückte sich eng an Tutanchamun und ließ sich ausgiebig von ihm streicheln.
»Brav, Jamu«, murmelte er, während lautes, genüssliches Schnurren erklang. »Ja, wir zwei verstehen uns wirklich gut!«
Sollte sie jetzt schon die kleinen Kügelchen lutschen, die Mayet ihr gegeben hatte? Miu entschloss sich, damit noch zu warten, und schob das Behältnis unauffällig unter ein Polster.
Jamu hieß »die Rote« - wie lieblos klang das denn?
»Du hast sie nicht Ta-Mau genannt?« Sie gab sich Mühe, ihre Enttäuschung nach außen hin zu verbergen, aber es gelang ihr nicht ganz. »Sollte sie nicht wie deine verstorbene Katze heißen?«
»Es kann nur eine Ta-Mau geben, meinst du nicht auch? Außerdem fehlen, bei aller Liebe, diesem hinreißenden Geschöpf die Voraussetzungen dafür.« Sein Tonfall klang amüsiert.
Was meinte er damit? Schätzte er ihr Geschenk so gering?
Mius Laune sank. Was nützten all die feurigen Blicke und wundervollen Verse, die er im Lauf des Abends rezitiert hatte? Sie war und blieb ein einfaches Mädchen - und er war Pharao und Gott, das hatte er ihr soeben unmissverständlich zu verstehen gegeben.
Tutanchamun war näher gerückt.
»Du weißt noch nicht besonders viel über die Liebe. Könnte das vielleicht sein?« Seine Stimme war sehr sanft.
»Bereits mehr als genug«, erwiderte Miu trotzig. »Viele bringt sie zum Weinen, dafür habe ich keinen Bedarf. Vielleicht ist es deshalb das Beste, man hält sich möglichst von ihr fern. Das hab ich jedenfalls für mich so beschlossen.« Ihre Stimme zitterte leicht.
»Und du meinst, das wäre so einfach?«
Seine Hand auf ihrem Schenkel fühlte sich heiß an. Trotzdem wünschte Miu, er würde sie niemals wieder dort wegnehmen.
»Man muss eben ganz genau hinsehen …«, nuschelte sie.
Tutanchamun brach in schallendes Gelächter aus.
»Und darin bist du offenbar Spezialistin, nicht wahr, kleine Miu?«, rief er. »Wach endlich auf, mein Mädchen: Keine Feuerkatze hast du mir geschenkt - sondern einen Kater!«
Röte überflutete sie. Jetzt verfluchte Miu aus ganzem Herzen dieses fein gewebte Kleid, in dem sie sich plötzlich so schutzlos fühlte.
»Aber das kann nicht sein«, murmelte sie. »Ich dachte doch … Du musst dich
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