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Der Kuss des Anubis

Titel: Der Kuss des Anubis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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Abschieds.
    »Wohin gehen wir eigentlich?«, fragte Miu nach einer Weile, weil er so rasch ausschritt, dass sie Mühe hatte mitzuhalten. »Wir laufen ja in die verkehrte Richtung!«
    »Zur Werkstatt.«
    »Zur Werkstatt? Was soll ich denn da? Ich will doch nach Hause!«
    Er sagte nichts, schien aber sein Tempo eher noch zu beschleunigen, und so blieb auch Miu für den Rest des Weges stumm.
    Vor dem lang gestreckten Gebäude erwartete sie Ipi, den Mund zum Begrüßungsgrinsen verzogen.
    »Du bist früh heute, Meister«, sagte er. »Und in so reizender Gesellschaft!«
    »Komm mit nach drinnen!«, befahl Ramose. »Und du wartest hier, verstanden?«

    Es dauerte nur ein paar Augenblicke, dann öffnete sich die Tür wieder. Ipis Grinsen schien ihr noch breiter und aufdringlicher geworden zu sein, falls das überhaupt möglich war.
    »Gehen wir«, sagte er. »Der Meister erwartet mich bald wieder zurück.«
    »Wohin?«
    »Zu eurem schönen Haus. Denn genau dorthin werde ich dich jetzt begleiten.«
    »Du?« Mius Augen weiteten sich. »Das glaub ich nicht!«
    »Kannst du aber. Dein Vater hat es so befohlen, und was der Meister befiehlt, das führt Ipi aus.«
    Wie um seine Worte zu unterstreichen, war er ihr ein Stück näher gerückt, und Miu wich sofort zurück. Im Gegensatz zu ihrem Vater schien Ipi sich nicht übermäßig für wohlriechende Öle und Essenzen zu interessieren. Der Geruch, den er verströmte, war faulig und süß.
    »Wenn du mich anfasst, schreie ich«, sagte Miu leise. »Und dann wirst du sehen, was dein geschätzter Meister mit dir anstellt!«
    Es schien ihm nichts weiter auszumachen, zumindest tat Ipi so.
    »Gehen wir?«, wiederholte er lediglich, und ihr blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen.
    Miu ignorierte ihn, so gut es eben ging, auf dem Weg bis zur Fähre und auch während der gesamten Überfahrt, obwohl er sie ununterbrochen anglotzte, als könne er sich an ihrem Anblick gar nicht sattsehen.
    Irgendwann bemerkte er, dass auch Miu ihn ansah. Er begann erneut zu grinsen und sagte: »Gewöhn dich ruhig
an meinen Anblick. Denn über kurz oder lang wirst du ja doch meine Frau. Und wenn du dich noch so sehr dagegen sträubst: Die Tochter des Balsamierers und ich - was könnte besser zusammenpassen?«
    »Ich, deine Frau?«, rief Miu so laut, dass die Umstehenden erstaunt die Köpfe wandten. »Niemals! Nicht einmal wenn Himmel und Erde die Plätze tauschten, hast du verstanden? Da würde ich ja noch lieber freiwillig in den Nil springen, zu den gefräßigen Kindern Sobeks!«
    Für einen Augenblick veränderte sich sein Gesicht, wurde hart und verschlossen, dann jedoch kehrte das überhebliche Grinsen wieder zurück.
    »Himmel und Erde vertauscht? Ja, ich denke, das könnte sehr wohl geschehen, Mutemwija«, sagte er. »Und dann wirst du deine Meinung ändern müssen.«

    Sich endlich wieder sauber fühlen!
    Mit zitternden Händen drehte Ramose den Schlüssel um. Dieser kleine Baderaum war seine geheime Zuflucht, wenn der strenge Atem des Anubis die Werkstatt bis in die letzten Ritzen erfüllte. Niemand außer ihm durfte ihn betreten. Sogar das Saubermachen übernahm er hier freiwillig - und schleppte auch ohne Murren die schweren Wasserkannen nach drinnen, die seine Gehilfen für ihn jeden Tag vor der Tür abstellten.
    Er wusch sich lange und ausgiebig und genoss das ersehnte Gefühl von Frische auf seiner Haut. Dann hielt er sich die Hände vor das Gesicht und schnupperte.
    Kaum wahrzunehmen, aber leider noch immer vorhanden.
Ein äußerst ärgerlicher Umstand, dem er rasch Abhilfe schaffen würde!
    Ramose bückte sich hinunter zu der großen Kiste aus Zedernholz, für die er ein kleines Vermögen bezahlt hatte, und hob deren Deckel an.
    Sein Mund öffnete sich zu einem stummen Schrei.
    Seine Salbgefäße waren ebenso daraus verschwunden wie das Heer von Glasfläschchen und Alabastertiegeln, die er in unermüdlicher Sammelleidenschaft von überall her zusammengetragen hatte.
    Die Kiste war gähnend leer.
    Leer - bis auf den blutroten Herzskarabäus aus feinstem Karneol, der ihn aus dunkler Tiefe höhnisch anzugrinsen schien.

SECHSTES KAPITEL
    H ör endlich auf, mich wie ein Kind zu behandeln!« Miu war so wütend wie selten zuvor. »Schließlich werde ich demnächst sechzehn.«
    »Dann hör du endlich auf, dich wie ein Kind zu benehmen!« Auch Ramose war außer sich. Miu erkannte es an seinen schmal gewordenen Lippen und der Art, wie er mit den Händen vor ihrem Gesicht umherfuchtelte. Aber

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