Der Kuss Des Daemons
abbekam. Später, in Sport, spielten wir Handball. Trotz meiner Proteste stellten sie mich ins Tor. Ich hielt nicht einen Ball. Als es endlich vorbei war, ließ ich mir Zeit mit dem Duschen. Der Schulparkplatz war bis auf wenige Autos leer, als ich aus der Turnhalle kam. Der Rolls war nicht zu übersehen. Paul hielt mir die Tür auf und teilte mir mit, dass mein Onkel geschäftlich unterwegs sei. Er wurde erst heute Abend zurückerwartet. Mit einem Nicken nahm ich es zur Kenntnis, während ich einstieg. Die Fahrt nach Hause verlief in dem üblichen Schweigen.
Ich wartete nicht, bis Paul mir die Tür geöffnet hatte, sondern stieg ohne seine Hilfe aus und ging wortlos ins Haus. Im Inneren erwartete mich wie schon am Tag zuvor bedrückende Stille. Es würde noch eine ganze Weile dauern, bis ich mich daran gewohnt hatte, dass Ella - und Simon - nicht mehr da waren. Paul und ich schienen die Einzigen im Haus zu sein. Auch wenn es schon später Nachmittag war: Vielleicht meinte das Schicksal es einmal gut mit mir. Ich teilte meinem Aufpasser mit, dass ich müde sei und mich ein wenig hinlegen würde, dann ging ich hinauf in mein Zimmer und schloss die Tür hinter mir ab. Das Verlangen nach einer Tasse Tee ignorierte ich - ich konnte es mir nicht leisten, Zeit zu verschwenden und zu warten, bis das Wasser heiß genug war und er lange genug gezogen hatte. Wenn ich mich beeilte, schaffte ich es möglicherweise wieder hier zu sein, ehe mein Onkel nach Hause kam. Meine Tasche landete beim Schreibtisch, dann suchte ich in meinem Kleiderschrank nach einem dunklen Shirt und ebensolchen Jeans. Rasch zog ich mich um, dann öffnete ich das Fenster und warf einen aufmerksamen Blick nach unten in den Garten. Es war niemand zu sehen. Vorsichtig stieg ich auf die Fensterbank und hangelte mich von dort aus auf das Dach des Wintergartens. Darauf bedacht, mich auf den Metallverstrebungen zu halten, balancierte ich mit ausgebreiteten Armen bis zum vorderen Rand. Noch einmal sah ich mich um, dann ließ ich mich an der Regenrinne auf das Wasserfass darunter hinab und sprang auf den Boden. Um wieder hineinzukommen, würde ich durch die Garage gehen müssen, doch war ich erst einmal so weit gekommen, war der Rest ohnehin ein Kinderspiel. Geduckt lief ich an der Hauswand entlang, bis ich die Ecke erreicht hatte, die dem Wäldchen, durch das man zum Hale-Anwesen gelangen konnte, am nächsten lag. Wachsam sah ich mich um und lauschte. Bis zu den ersten Bäumen waren es etwa vierzig oder fünfzig Meter. Auf dieser Strecke gab es nichts, hinter dem ich hätte Deckung suchen können. Wenn Paul aus einem der Fenster auf dieser Seite schauen würde, während ich dort hinüberlief, musste er mich unweigerlich entdecken. Aber wenn ich mit Julien reden wollte, hatte ich keine andere Wahl, als alles auf eine Karte zu setzen. Und ich würde nicht noch länger darauf warten, dass er irgendwann beschloss in die Schule zurückzukehren oder Mr Arrons ihn von der Polizei hinbringen ließ. Ich holte ein letztes Mal tief Luft und sprintete los. Hinter mir blieb es still. Sekunden später tauchte ich in die Schatten zwischen den Bäumen ein. Mein Schwung trug mich noch ein paar Schritte weiter, ehe ich keuchend stehen blieb. Als ich wieder halbwegs zu Atem gekommen war, sah ich zum Haus zurück. Alles war ruhig. Sehr gut! Ich suchte meinen Trampelpfad, der zum Anwesen führte, und trabte los. Je näher ich ihm kam, umso unsicherer wurde ich. Was sollte ich Julien sagen? Wie würde er darauf reagieren, wenn ich einfach so vor seiner Tür stand? Würde er wütend werden? Überhaupt mit mir reden wollen? Vielleicht war er ja gar nicht zu Hause?
Meine Hände waren feucht und mein Mund wie
ausgedörrt, als ich schließlich zwischen den Bäumen hervortrat. Das alte Haus lag dunkel und still im Abendsonnenschein auf seiner Lichtung. Ich wischte meine Handflächen an meinen Jeans ab, gab mir einen Ruck und ging weiter. Die Fenster wirkten wie mit einem reflektierenden Firnis aus orangefarbenem Gold überzogen. Die ersten Schatten hatten sich purpurn in den Winkeln unter dem Verandadach eingenistet. Nichts bewegte sich. Ich nahm den kürzesten Weg zur Haustür, hinter dem Schuppen entlang. Angespannt umrundete ich dessen Ecke und blieb stehen, als ich sah, dass die Kette lose von einem der beiden Türflügel herabhing, der obendrein auch nur angelehnt war, so als sei er von selbst zugefallen. Gewöhnlich schloss Julien immer ab, auch wenn er zu Hause war. Ein seltsames
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