Der Kuss Des Daemons
um mich machte. Der dritte war von Susan, die ebenfalls wissen wollte, wie es mir ging. Ich löschte ihre Nachrichten und versuchte meinerseits Julien zu erreichen. Wieder ging seine Mailbox ran, ohne dass es klingelte. Seine Stimme zu hören, die leicht spöttisch »Du weißt, wir's geht! Fass dich kurz!« sagte, ließ meine Kehle eng werden.
»Bitte melde dich doch, Julien. Wir müssen reden. Ich will wenigstens wissen, warum du mich nicht mehr sehen willst. Ruf mich an, ja?!«, bat ich und war mir nur zu bewusst, wie verzweifelt ich mich anhören musste. Einen Moment lang starrte ich noch auf mein Handy, als könnte ich Julien so dazu zwingen, mich anzurufen, dann legte ich es schweren Herzens beiseite und ging ins Bad, um mich fertig zu machen. Vielleicht war er ja heute in der Schule. Als ich kurze Zeit später mit meiner Tasche unter dem Arm nach unten ging, erwartete Paul mich am Fuß der Treppe. Mein Handy steckte in meiner Hosentasche. Ich ließ mich von ihm zum Rolls begleiten, der wie am Tag zuvor schon vor der Tür parkte, und stieg gehorsam ein. Paul schloss die Tür hinter mir und setzte sich ebenso schweigend wie gestern hinters Steuer. Obwohl er deutlich schneller fuhr als beim letzten Mal, schaffte er es nicht mehr, mich rechtzeitig in der Schule abzuliefern. Was mir nur recht war, denn dass ich zu spät kam, ersparte mir die Blicke meiner Mitschüler, als ich aus dem Rolls stieg.
Ich murmelte eine Entschuldigung, als ich bei Mrs Jekens in Mathe schlüpfte, gab vor, ihre bissige Bemerkung darauf nicht gehört zu haben, und ließ mich still neben Beth auf meinem Platz nieder. Ohne etwas zu sagen, nahm sie, kaum dass ich saß, meine Hand in ihre und drückte sie fest. Dankbar sah ich sie an und bemühte mich um ein Lächeln - es misslang.
Julien war wieder nicht in der Schule. Ich versuchte noch mehrmals ihn auf dem Handy zu erreichen, hatte aber immer nur die Mailbox dran. Nach Physik in der zweiten Stunde begegnete ich unserem Schulleiter, Mr Arrons, auf dem Gang. Er hielt mich an und trug mir ziemlich unwirsch auf, meinem Freund - er betonte das Wort so, als sei unsere Beziehung ein Verbrechen - auszurichten, dass er ernsthafte Probleme bekommen würde, wenn sein dauerndes unentschuldigtes Fehlen nicht umgehend ein Ende fand. Ich nickte nur zur Antwort und flüchtete in die nächste Stunde. Die meiste Zeit starrte ich aus dem Fenster und überlegte, ob Julien vielleicht meine Nummer auf dem Handydisplay
gesehen
hatte
und
deshalb
nicht
rangegangen war. Aber hätte es dann nicht wenigstens ein paarmal klingeln müssen, ehe die Mailbox sich meldete? In der nächsten Pause borgte ich mir Lizas Handy - deren Nummer er bestimmt nicht kannte - und versuchte es erneut. Mit dem gleichen Erfolg wie zuvor. Offenbar gab es nur eine Möglichkeit, mit ihm zu reden: Ich musste mich mit ihm treffen. Allerdings wurde Onkel Samuel mich wohl kaum so einfach zu ihm lassen - selbst wenn ich keinen Hausarrest hätte. Ich überlegte, ob ich jetzt, während der Schule, einfach gehen sollte - Beth oder Susan würden mir bestimmt ihr Auto borgen -, doch wenn ich Pech hatte, meldete einer der Lehrer meine Abwesenheit und mein Onkel erfuhr davon. Und Paul zu bitten, mich bei dem alten Anwesen vorbeizufahren, war ebenso unmöglich, da er Onkel Samuel garantiert davon erzählen würde. Mir blieb also nichts anderes übrig, als mich heute Abend, wenn es dunkel war, aus dem Haus zu schleichen. Ich war schon früher - bevor damals meine Leibwächter abgezogen worden waren - aus dem Fenster geklettert. Das Dach zum Wintergarten, der sich an das große Wohnzimmer anschloss, befand sich einen knappen halben Meter schräg unterhalb meines Fensters. Solange man sich auf den Metallverstrebungen hielt, die die Teile des Plexiglasdachs miteinander verbanden und sie stützten, war alles in Ordnung. Ich konnte nur hoffen, dass Onkel Samuels Männer nicht wie damals auch im Garten ihre Runden drehten.
Den Rest der Unterrichtsstunden brachte ich mehr schlecht als recht hinter mich. In Biologie ersäufte ich meine Präparate für die Arbeit am Mikroskop in dem Zeug, mit dem wir sie einfärben sollten, sodass sie unbrauchbar waren und ich noch einmal von vorne anfangen musste. Während der Mittagspause genügte allein der Anblick von Kartoffelsalat und Fischstäbchen, um mir den Appetit zu nehmen. Auf Beths Drängen kaufte ich mir dann doch wenigstens eine Limo und einen Nachtisch - rote Grütze -, von dem sie noch die Hälfte
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