Der Kuss Des Daemons
Gefühl beschlich mich. Misstrauisch ging ich hinüber, zog den Türflügel auf und betrat wachsam und vorsichtig den Schuppen. Im Inneren herrschte bereits trübes Halbdunkel. Juliens Blade war nicht da. Nur der Sportwagen, den ich auch vor zwei Tagen schon einmal gesehen hatte, stand noch am gleichen Platz. Es war eine Corvette Sting Ray. Ihr schwarzer Lack glänzte. Zögernd ging ich näher heran und warf einen Blick durch ihre getönten Scheiben in ihr Inneres. Eine Meatloaf-CD lag auf dem hellen Leder des Beifahrersitzes, ansonsten war der Wagen leer. Wie konnte Julien sich einen solchen Wagen und die Fireblade leisten? Warum hatte er niemals auch nur mit einer Silbe erwähnt, dass er eine Corvette besaß? Es war mir vorher nie aufgefallen, aber er hatte mich nicht einmal mit in den Schuppen genommen, wenn er die Blade geholt hatte. Damit ich die Corvette nicht sah?
Ich ließ den Blick noch einmal durch den Schuppen gleiten - abgesehen von der Corvette war er leer - und ging zum Anwesen hinüber. Das seltsame Gefühl der Unruhe verstärkte sich, als ich sah, dass auch hier die Tür nur zugeworfen war. Ich öffnete sie und betrat das Haus. Im Korridor blieb ich stehen und tastete nach dem Lichtschalter. Ein bisschen Licht würde meinen Nerven guttun. Ein trockenes Knacken erklang, als ich ihn umlegte, ansonsten geschah nichts. Es blieb dunkel. Ich fluchte lautlos.
»Julien?«, rief ich dann in die Stille hinein und lauschte auf eine Antwort. Es kam keine. Hatte ich etwas anderes wartet? Keine Blade, kein Julien. Nun gut. Dann würde ich eben warten - zumindest so lange, wie es nur möglich war. Langsam ging ich den Flur hinunter und ins
Wohnzimmer. Mein Blick fiel sofort auf das Tagebuch meiner Mutter. Es lag noch immer am Boden. Genau dort, wo es nach Juliens jähem Aufspringen hingefallen war. Warum hatte er es nicht aufgehoben? Was hatte das zu bedeuten? Aus meiner Unruhe wurde Angst. Hastig schaute ich mich im Raum um. Alles war noch so wie zu dem Zeitpunkt, als er mich aus dem Haus gezerrt hatte. Er hatte damals weder die Haustür abgeschlossen noch den Schuppen wieder verriegelt. - War er danach nicht mehr hier gewesen? Aber warum? Was war geschehen? Er hatte nur gesagt, dass er irgendwann wieder fortgehen würde, aber doch nicht einfach von einer Minute auf die andere. Hatte er einen Unfall gehabt?
Hastig zerrte ich mein Handy hervor, rief die Auskunft an und ließ mich mit der hiesigen Polizei verbinden. Meine ängstliche Frage, ob es in den letzten beiden Tagen einen Motorradunfall gegeben hätte, bei dem jemand verletzt worden und vielleicht ins Krankenhaus gekommen war, wurde von einem freundlichen Officer mit einem »Nein«
beantwortet. Es gab keine unidentifizierten Toten und es war auch niemand verhaftet worden, auf den Juliens Beschreibung gepasst hätte. Er bot mir an, meinen Freund als vermisst zu melden, dazu müsste ich allerdings auf die Wache kommen. Ich bedankte mich und legte auf. Wenn ich zur Polizei ginge, würde Onkel Samuel garantiert davon erfahren. Ganz abgesehen davon, dass ich gar nicht hier sein dürfte, schließlich hatte er mir ja jeden weiteren Kontakt zu Julien verboten. Aber irgendetwas war geschehen. Und je Länger ich darüber nachdachte, umso größere Sorgen machte ich mir. Noch einmal sah ich mich suchend im Raum um, während ich zum Sofa hinüberging und das Tagebuch meiner Mutter vom Boden aufhob. Sorgsam glättete ich die geknickten Seiten, ehe ich es schloss und hinten in meinen Hosenbund schob. Vielleicht fand ich ja doch einen Hinweis darauf, was geschehen war. Nur wo? Als Erstes fiel mir Juliens Zimmer ein. Ich hatte es noch nie gesehen, aber da ich die Räume im Erdgeschoss alle - zumindest flüchtig - kannte, konnte es nur im ersten Stock sein. Bei jedem meiner Schritte knackten und knarrten die Treppenstufen, als ich sie hinaufstieg. Unter meinen Fingern war der Handlauf mit einer Staubschicht überzogen.
Die Treppe endete in einem Flur, von dem zu beiden Seiten Türen abzweigten. Ein Stück weiter stand eine Dachbodenluke in der Decke offen. Die Leiter, die hinaufführte, sah alles andere als vertrauenerweckend aus. Überall lag Staub. Selbst der Boden war damit bedeckt. Juliens Fußspuren führten in der grauen Schicht deutlich sichtbar zu der Dachbodenleiter und einer Tür daneben - und sonst nirgendwohin. Ich folgte seinen Spuren und blickte in den Raum hinein. Ein Badezimmer. Es war mit cremeweißen Kacheln gefliest, die kaum sichtbar blau und grün
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