Der Kuss Des Daemons
Stimmen bis zu mir herauf, aber sie waren so gedämpft, dass ich sie weder erkannte noch verstand, was sie sagten. Unwillkürlich fragte ich mich, wie viele Männer mein Onkel mit hierhergebracht hatte? Waren das alles seine Leibwächter?
Seltsam. Ich hatte nicht gewusst, dass er so viele Feinde hatte, um sich mit dieser kleinen Armee umgeben zu müssen.
Irgendwann meldete sich mein Magen mit eindeutigen Wünschen und ich wagte mich aus meinem Zimmer in die Küche hinunter. Am Fuß der Treppe stand ein Mann, der sich umdrehte, kaum dass ich den oberen Absatz erreicht hatte. Er starrte mich einen Moment lang an, dann nickte er mir noch immer schweigend zu. Ein wenig unsicher erwiderte ich sein Nicken, als ich an ihm vorbeiging. In der Tür zur Küche hielt ich abrupt inne. Mein Onkel stand neben der Mikrowelle, ein Glas Rotwein in der Hand. Obwohl ich mir sicher war, kein Geräusch gemacht zu haben, wandte er sich zu mir um. Er betrachtete mich auf eine kühle, abschätzende Art, dass ich mir vorkam wie etwas, bei dem er darüber nachdachte, ob er es kaufen sollte oder nicht. Mit jeder Sekunde, die er mich wortlos musterte, wurde mir mulmiger zumute.
»Ich wollte mir nur ein Stück Lasagne aufwärmen«, stotterte ich schließlich beklommen, als ich weder seinen Blick noch die Stille länger ertrug.
Seine Mundwinkel zuckten ganz kurz. »Natürlich. Tu, was immer du willst, mein Mädchen. Du bist doch keine Gefangene - auch wenn du Hausarrest hast«, erinnerte er mich noch einmal, ehe er auf eine Tasse wies, die auf der Anrichte stand. »Ich wollte dir gerade eben noch etwas von deinem Tee nach oben bringen und dir eine gute Nacht wünschen.«
»Danke.« Ich verzog den Mund zu etwas, von dem ich hoffte, dass es als Lächeln gelten konnte. Erneut machte sich ein unangenehmes Schweigen zwischen uns breit. Schließlich senkte ich den Blick und schob mich an ihm vorbei. Die Lasagne stand noch immer im Herd. Doch wie heute Mittag genügte der Geruch nach Spinat und Käse, um mir den Appetit zu nehmen. Schlimmer noch: Mir wurde sogar übel davon und ich beeilte mich, die Auflaufform vom Herd in den Kühlschrank hinüberzubefördern. Auf den fragenden Blick meines Onkels murmelte ich etwas von »doch keine Lust auf Lasagne« und »der Tee reicht mir«, schnappte die Tasse und verließ die Küche. Nur aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, wie sich Onkel Samuels Lippen für einen Sekundenbruchteil zu einem kalten, triumphierenden Lächeln zu verziehen schienen.
Der Geruch des Tees hatte genau die entgegengesetzte Wirkung auf mich wie der der Lasagne. Gleich auf der Treppe nahm ich einen ersten Schluck. Er schmeckte noch immer so seltsam wie die Tasse zuvor. Vielleicht sogar ein Stück intensiver nach Salz und Kupfer und auf eine unerklärliche Art schwerer und ... voller. Möglicherweise hatte mein Onkel diesmal versehentlich eine andere Mischung bekommen. Wie heute Mittag löste der erste Schluck Schmerzen in meinem Oberkiefer aus, die beim zweiten und dritten aber schon wieder verschwanden. Die Tasse war bereits zur Hälfte leer, als ich mein Zimmer erreichte. Ich warf einen Blick auf mein Handy, ob Julien nicht vielleicht angerufen harte - er hatte nicht -, dann packte ich meine Tasche für den nächsten Tag. Auf einmal saß eine dumpfe Müdigkeit in meinen Gliedern, die von Sekunde zu Sekunde größer wurde. Es fiel mir schwer, die Augen offen zu halten, während ich rasch Zähne putzte, mich wusch und mein Nachthemd anzog. Ich schaffte es gerade noch, das Handy vom Sehreibtisch zu holen, in mein Bett zu kriechen, es neben mein Kopfkissen zu legen und mich unter der Decke einzukuscheln, ehe die Müdigkeit sich wie Blei über mich legte und ich einschlief.
Am Morgen weckte mich schmerzhaft grelles Licht, das durch meine geschlossenen Lider drang und mich blendete. Ich brauchte mehrere Minuten, um zu mir zu kommen und zu begreifen, dass ich nicht unter die Flutlichtanlage eines Baseball-Stadions geraten war, sondern nur die Sonne durch mein Fenster fiel. Ein Blick auf meinen Wecker verriet mir, dass ich sein Klingeln nicht gehört hatte und mich beeilen musste, wenn ich es noch rechtzeitig in die Schule schaffen wollte. Ich musste geschlafen haben wie eine Tote, denn ich hatte drei Anrufe auf meinem Handy verpasst. Doch meine Hoffnung, es konnte vielleicht Julien gewesen sein, wurde enttäuscht, als ich die Mailbox abhörte. Zwei der Anrufe waren von Beth, die sich, dem Klang ihrer Stimme nach zu urteilen, ziemliche Sorgen
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