Der Kuss des Engels: Roman (German Edition)
Verschwörern, die …«
»Für ihre Ehen mit sterblichen Frauen verdammt wurden? Nein. Die wurden gebunden und sehr weit weggesperrt, wie du gelesen hast.«
»Aber wer … Ich meine, alle gefallenen Engel waren vorher gute Engel, oder?«
»Sonst könnten sie nicht fallen«, bestätigte er.
»Du also auch.«
Er nickte. »Wobei wir über das ›gut‹ noch mal diskutieren sollten.«
Sie wischte den Einwand beiseite, der drohte, sie von dem einen Gedanken abzulenken, der ihr auf der Seele brannte. »Und bevor du gefallen bist, hattest du einen anderen Namen?«
»Ja.«
»Du erinnerst dich nicht weiter zurück als April. War dein … dein Sturz davor oder danach?«
»Danach.«
»Und wie lautete dein Name?«
»Rafael.«
Er war gegangen. Sie hatte ihn nur einmal darum bitten müssen, hatte gesagt, dass sie nachdenken wolle, und er war widerspruchslos zur Tür hinaus verschwunden. Wahrscheinlich, weil er ganz genau weiß, wie es in mir aussieht. Kopflos war sie nach Hause geeilt, hatte Madame Guimard brüsk auf dem Flur stehen lassen und sich in ihrem Zimmer eingeschlossen. Die alte Dame war nun sicher beleidigt, doch Sophie war es recht. So musste sie nicht befürchten, dass besorgt an ihre Tür geklopft wurde.
Sie schleuderte ihre Schuhe in eine Ecke und die Tasche in eine andere, bevor sie sich aufs Bett fallen ließ. In ihrem Kopf herrschten Leere und Durcheinander zugleich. Sie wusste nicht mehr, was sie denken oder fühlen sollte. Als sie aus der Rue Thouin geflüchtet war, hatte sie dem Monster noch dafür gezürnt, dass es Rafes Körper gestohlen hatte, ihn benutzte, wie der sprichwörtliche Wolf den Schafspelz überzog. Die Welt war schwarz und weiß gewesen, er der Böse, sie das Opfer, das er umgarnt und belogen hatte. Doch jetzt?
Das Handy klingelte. Mit einem gequälten Stöhnen raffte sie sich auf. Wenn er anrief, würde sie ihm sagen, dass er sich unterstehen sollte, in dieser Wohnung aufzutauchen. Sie wollte Madame Guimard aus der Angelegenheit heraushalten – schlimm genug, dass er in ihrem Laden aufgetaucht war.
Es war Jean. Einen Moment lang zögerte sie, dann schaltete sie das Handy ab. Sie wollte jetzt mit niemandem sprechen, und schon gar nicht mit jemandem, der versuchen würde, sie zu beeinflussen. Jean war voreingenommen. Er hatte von Anfang an nur das Monster gesehen. Sie nahm es ihm nicht übel, war ihm sogar dankbar für seine Warnungen und seine Hilfe. Aber bevor sie ihm wieder gegenübertrat, musste sie herausfinden, wo sie stand. Oder sollte sie ihn nach einer Möglichkeit fragen, wie sie prüfen konnte, ob Rafe die Wahrheit sagte? Dabei wird er nicht mitspielen. Für ihn blieb ein gefallener Engel ein gefallener Engel, eine Bedrohung, die es zu bekämpfen galt. Und für sie?
Wenn es stimmte, was er sagte, dann war er Rafe. Auf eine Art zwar, die sich ihrem Verständnis entzog, aber irgendwie war nach Rafes Tod ein Engel gleichsam geboren worden, der seinen Namen trug und bei Bedarf über sein Aussehen verfügte. Das bewies im Grunde nichts. Wie so oft hätte sie es als dummen Zufall verbuchen können. Doch daran glaubte sie nicht mehr. Auch dass er sich an kein Erdenleben als Mensch erinnern konnte, war keine Basis für zwingende Schlussfolgerungen. Was wusste sie schon über Engel? Ein paar Schnipsel aus Filmen und Büchern waren hängen geblieben, die ihr weder weiterhalfen noch vertrauenswürdiger waren als das, was Jean oder Rafe erzählten.
Wie sie es auch drehte und wendete, blieb es ihr überlassen, was sie glauben wollte und was nicht. Angenommen, dass er so etwas wie die Seele von Rafe ist, was bedeutet es für mich? War sie ihm dadurch verpflichtet, weil sie seine Verlobte war? Verpflichtet wozu? Sicher erwartete niemand von ihr, deshalb zur Geliebten eines Dämons zu werden. Schon bei der Vorstellung schauderte sie. Wie knapp sie davor gewesen war, sich ihm hinzugeben! Und er würde es weiterhin darauf anlegen. Aber wenn er ausgerechnet sie so unbedingt wollte und ein gewissenloser Diener des Bösen war, warum hatte er sie dann nicht einfach mit Gewalt genommen, als er Gelegenheit dazu hatte? Ihr wurde jetzt noch kalt, wenn sie daran dachte, wie er auf unerklärliche Weise die Tür verschlossen und sie berührt hatte, ohne seine Hand zu gebrauchen. Was hielt ihn bei so viel Macht davon ab, ihr seinen Willen aufzuzwingen?
Oder galt eher etwas Umgekehrtes? Fühlte er sich wirklich zu ihr hingezogen, weil sich irgendein unterbewusster Teil von ihm doch noch
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