Der Kuss des Engels: Roman (German Edition)
ein Dämon. Sophie wich so weit zurück, wie es die Säule hinter ihr zuließ.
»Nun, wenn du ihn mit meiner Hilfe zurück in einen hehren Engel verwandelst, schlage ich zwei Fliegen mit einer Klappe. Ich bin ihn los und pfusche dem alten Herrn da oben ins Handwerk. Das ist doch ein guter Tausch, findest du nicht?«
»Aber hieß es nicht, dass einer wie du … keine guten Taten vollbringen kann? Mir zu helfen, wäre doch …«
»Etwas so Verbotenes, dass ich dafür glatt noch einmal in die Hölle fahren würde.«
»Das verstehe ich nicht.« Hatte es damit zu tun, dass Rafe kein Recht darauf hatte, sich gegen seine Verdammung aufzulehnen?
»Siehst du, so dumm bist du doch gar nicht. Allerdings kommt noch etwas hinzu, das dir weniger gefallen dürfte.«
»Und das wäre?«
»Du müsstest bereit sein, für ihn zu sterben.«
Nach dem schattig-kühlen Inneren der Kirche schwappte Jean die schwüle Hitze entgegen wie Dampf aus einer Sauna. Es wurde Zeit für ein kaltes Bier oder wenigstens Wasser in einem der kleinen Cafés in den Gassen Montmartres. Dort würde er in Ruhe mit Sophie besprechen können, was Geneviève ihm verraten hatte.
Auf dem Vorplatz Sacré-Cœurs war es noch voller geworden. Gerade strömte eine weitere Busladung Japaner aus der kleinen Standseilbahn, die neben den Treppen auf- und abpendelte und ihnen den Aufstieg erspart hatte. Eine Inderin im golddurchwirkten Sari fächelte sich mit einem Stadtplan Luft zu, während ihr Mann im beigefarbenen Anzug aus einem Reiseführer vorlas. Kinder hüpften um ihre Eltern herum und deuteten zum Karussell hinab, ein Andenkenverkäufer schüttelte seine klirrenden und klappernden Eiffeltürmchenbündel, und zahllose Arme reckten Kameras in die Höhe, um trotz des dunstigen Himmels die Aussicht zu fotografieren. Die Atmosphäre glich eher einem Rummelplatz als andächtiger Stille vor einem Gotteshaus.
Jean schob sich durch die Touristen und hielt vergeblich nach Sophie Ausschau. Wenn sie überhaupt schon wieder aus der Kirche gekommen war, wollte sie vielleicht auf den Turm hinauf. Er warf einen Blick um die Ecke, zum Eingang der Krypta hinab, wo die Menschen eine immer längere Schlange bildeten, doch auch dort konnte er sie nicht entdecken. Seine Begegnung mit Geneviève hatte nicht lange gedauert. Sophie konnte überall sein und glauben, er sei ohnehin noch nicht zurück. Sollte er sie anrufen? Nein, Touristenrummel hin oder her, klingelnde Handys und lauthals geblökte Telefonate hatten in einer Kirche nichts verloren. Er beschloss, hineinzugehen und sich dort nach ihr umzusehen. Falls er sie verpasste, würde sie eben draußen auf ihn warten.
Der Rundgang durch das lichte, mit Mosaiken ausgeschmückte Innere der Kirche kostete ihn nicht viel Zeit, obwohl er jeden Besucher musterte und hinter jede weiße Säule spähte. Sophie war nirgends zu sehen. Wahrscheinlich hatte sie doch den Weg zur Kuppel auf sich genommen oder in den kalten Gewölben unter der Kirche Zuflucht gesucht. Er ging wieder hinaus und suchte erneut den Vorplatz ab. Eine Weile beobachtete er die Leute, die aus der Krypta und von der Turmbesteigung zurückkamen. Die einen fröstelten noch in ihren Shorts und T-Shirts, während die anderen erschöpft und verschwitzt aussahen. Allmählich wurde sein Durst drängender. Er sah auf die Uhr. Es war über eine Stunde her, dass sie sich getrennt hatten.
»Das Böse hat die Finger bereits nach ihr ausgestreckt«, hörte er Geneviève erneut sagen. Sein Herz schlug schneller. Er konnte nicht länger warten. Hastig zerrte er das Handy aus der Manteltasche.
»Solche Angelegenheiten bespricht man nicht im Stehen. Wie wäre es, wenn wir uns auf ein leichtes Mittagessen in ein Lokal am Place du Tertre setzen?«
Nachdem er ihr gerade vorgeschlagen hatte, ihr Leben für Rafe hinzugeben, war Sophie jeder Anflug von Appetit vergangen. Sie war sprachlos, wusste nicht einmal, was sie denken sollte.
»Ich verstehe, dass du zögerst«, gestand der Dämon ihr zu. »Die Idee erscheint dir im Augenblick drastisch, aber wenn du ehrlich bist, hattest du dich auf dieser Brücke bereits mit dem Gedanken vertraut gemacht.«
Der Engel der Einsamkeit und der Tränen. Mit ihrer verzweifelten Trauer um Rafe musste sie ihn angelockt haben.
»In der Tat.« Er lächelte beunruhigend. »Und im Grunde hat sich an eurer Lage nicht allzu viel geändert. Warum hörst du dir nicht erst einmal an, was ich vorzuschlagen habe?«
Es war zweifelhaft, ob Jean Erfolg
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