Der Kuss des Engels: Roman (German Edition)
hast?« Das Handy verstummte.
Kafziel musterte sie geringschätzig. »Muss ich dir das wirklich erklären? Er hasst mich und meinesgleichen. Und er würde niemals zulassen, dass du …« Er unterbrach sich, als der Kellner herankam. Mit seinen Hosenträgern, dem blauen Halstuch und der grauen Schiebermütze sah der Mann selbst wie eine Touristenattraktion aus.
Sophie kam es grotesk vor, eine Apfelsaftschorle zu bestellen, während sie mit dem Dämon über ihren möglichen Tod sprach. Mechanisch schob sie die Speisekarte beiseite.
»Du isst nichts? Umso besser«, befand Kafziel. »Fasten ist eine gute Vorbereitung auf das Ritual.«
Es lief ihr kalt den Rücken hinab. »Wie … wie würde es aussehen? Muss ich …«
»Es selbst machen? Nein! Das wäre grundfalsch. Selbstmord ist eine Sünde, und man kann eine Sünde nicht durch weitere aus der Welt schaffen. Wir reden hier über ein Sühneopfer. Es geht darum, Leid auf sich zu nehmen, um die Schuld eines anderen zu begleichen.«
»Geht das denn?« Das Prinzip dahinter kam ihr bekannt vor. Hatten sich nicht eine Vielzahl von Sagen- und Märchengestalten geopfert, um andere zu erlösen? Doch das waren erfundene Geschichten.
»Nun, gerade im Christentum erfreut sich die Idee einiger Beliebtheit«, meinte der Dämon leichthin. »Dreht sich nicht alles darum, dass sich Jesus von Nazareth hinschlachten ließ, um die Menschheit von ihren Sünden zu erlösen?«
Das gehörte zu den Dingen, die sie nie ganz verstanden hatte, denn ihr leuchtete der Unterschied zwischen der Situation davor und danach nicht ein, doch sie hatte jetzt andere Sorgen. »Sie wollen mich doch nicht ernsthaft mit Jesus vergleichen.« Sie fühlte sich weder selbstlos noch übermenschlich. Wollte sie wirklich für Rafe sterben?
»Denk in Ruhe darüber nach, welche Alternativen du hast. Ich habe den ganzen Tag Zeit.«
»Und Sie würden es tun? Mich … töten, meine ich.«
»Ja.«
Das ist alles, worum es ihm geht. Ich muss verrückt sein, ihm zu glauben.
»Wenn mir einfach nur daran gelegen wäre, ein junges Ding zu zerstückeln, hätte ich andere Möglichkeiten.« Von einer Sekunde auf die andere hielt er ein Messer in der Hand und ließ das Licht auf der Klinge spielen, bevor sie wieder verschwand.
Sophie schluckte.
»Es hätte seinen Reiz, dich dazu zu bringen, es selbst zu tun.« Seine Augen funkelten. »Aber das Ritual sieht anderes vor, und wir verfolgen ja einen bestimmten Zweck.«
Der Kellner brachte ihnen die Getränke. Sie bekam keinen Schluck herunter. Sie sollte aufstehen und davonlaufen, sich verstecken, sich von Jean beschützen lassen. Doch was würde ihr das helfen? Es änderte nichts daran, dass Rafe wieder in ihr Leben getreten war und sie ihn liebte. Welche Wahl hatte sie? Sich für alle Zeiten damit zu quälen, ihm nicht nachgeben zu dürfen, oder schwach zu werden und ein Höllenwesen zu gebären. Welche Art von Leben sollte das werden? Wenn ich sterbe und er wieder ein Engel ist, steht nichts mehr zwischen uns. Es wäre anders, aber wir wären wieder vereint.
Warum ging sie nicht ans Handy? Jean unterdrückte den Impuls, es in eine Ecke zu schleudern, und machte sich stattdessen Luft, indem er auf dem Vorplatz hin- und herstrich wie ein Tiger im Käfig. Wo konnte sie stecken? Sollte er auf den Turm oder in die Krypta hinunter, um nach ihr zu suchen? Das ergab wenig Sinn. Wenn sie dort war, würde sie schon irgendwann wieder hier herauskommen, denn es gab keinen anderen Ausgang. Sollte sie jedoch nicht mehr in Sacré-Cœur sein, hatte er keinen Anhaltspunkt, wo sie hingegangen sein könnte.
Wie von selbst tastete seine Hand nach der Brusttasche, nur um festzustellen, dass er die Zigaretten vergessen hatte. Es war ihm gleich seltsam vorgekommen, dass Sophie plötzlich nicht mehr mit zu Schwester Adelaide gewollt hatte. War ihm da bereits etwas entgangen? Aber was? Andererseits gehörte sie zu den Leuten, denen vieles peinlich war. Dass sie nur ungern einer fremden Nonne von ihrer Liebe zu einem gefallenen Engel erzählen wollte, konnte er nachvollziehen. Doch das erklärte nicht, warum sie so lange brauchte und nicht auf seinen Anruf reagierte. Er musste es noch einmal versuchen. Das Handy piepste, als er gerade das Telefonbuch aufrief. Rasch öffnete er die Nachricht.
»Bitte entschuldige, aber ich musste dringend nach Hause. Madame Guimard hat Probleme mit der Hitze. Ich melde mich später. Sophie«
Erleichtert steckte Jean das Handy wieder ein. Für den
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