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Der Kuss des Engels: Roman (German Edition)

Der Kuss des Engels: Roman (German Edition)

Titel: Der Kuss des Engels: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lukas
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Einheitslook. So oder so war es unmöglich, jeden Einzelnen wahrzunehmen, der sich irgendwo an diesem Platz aufhielt oder ihn nur streifte.
    Sophie umrundete den Place de la Contrescarpe und warf im Vorübergehen einen Blick in jedes Lokal. Am Ende entschied sie sich für eine Bar, in der sie noch einen kleinen Tisch am Fenster ergattern konnte. Wenigstens diese Ecke des Platzes wollte sie im Auge behalten. Die Kellnerin hatte kaum die Orangina vor ihr abgestellt, als vier junge Leute eintraten und sich ebenfalls nach einem Tisch umsahen. Sie waren leger, aber nicht heruntergekommen gekleidet, weshalb Sophie sie für Studenten hielt. Die einzige Frau der Truppe, eine zierliche Brünette mit burschikoser Frisur, ähnelte einem der Männer so auffällig, dass sie vermutlich Geschwister waren. Der Blick des Bruders blieb an Sophie hängen, die rasch wegsah, doch es half nichts. Da keine anderen Plätze frei waren, kamen die vier zu ihr herüber.
    »Hallo! Stört’s dich, wenn wir uns zu dir setzen?« Der junge Mann hatte nicht nur dieselbe Haarfarbe wie seine Schwester, sondern auch mindestens ebenso lange Wimpern, die seinen stechenden grauen Augen einen weicheren Zug verliehen.
    Sophie lächelte gequält. »Eigentlich schon. Ich warte auf jemanden.«
    »Ach, dann ziehen wir einfach weiter, wenn dein Freund kommt.« Mit einer wegwerfenden Handbewegung ließ er sich neben ihr nieder, während sich die anderen freie Stühle zusammensuchten. »Oder ist es eine Freundin?«
    Das Gespräch nahm genau die Wendung, die sie befürchtet hatte. Schon hatte sie die Straße länger aus dem Auge gelassen, als ihr lieb war, dabei war es im Laternenlicht schon schwierig genug, die Gesichter der Passanten zu erkennen.
    »Es ist mein Verlobter«, erwiderte sie, um ihn zu entmutigen.
    »Was für ein Pech«, lachte einer der anderen beiden und klopfte seinem Freund betont munter auf die Schulter. Zur Antwort bekam er nur einen Brummlaut.
    Die Kellnerin erschien und lenkte sie ab. Längst hatte Sophie ihre Aufmerksamkeit wieder nach draußen gerichtet.
    »Bist du auch Studentin?«, erkundigte sich die junge Frau.
    »Nein, Fremdsprachenkorrespondentin«, antwortete Sophie mit einem raschen Seitenblick.
    Da ihre Antworten so einsilbig blieben und sie ständig aus dem Fenster starrte, gaben es ihre Tischnachbarn bald auf. Sicher halten sie mich jetzt für eine dumme, langweilige Kuh, dachte sie bedauernd, denn die vier wirkten nett und aufgeschlossen. Aber wenn sie Rafe jemals finden wollte, hatte sie keine Wahl.
    Die Zeit zog sich wie Kaugummi. Nach einer Weile wechselten die Studenten an einen frei gewordenen größeren Tisch, und sie blieb allein auf ihrem Beobachtungsposten zurück. Mitternacht verstrich. Sie musste sich zwingen, die Lider offen zu halten. Das hat alles keinen Sinn, flüsterte ihr eine innere Stimme zu. Morgen würde sie vor Müdigkeit wieder dumpf wie ein Zombie in der Schule sitzen. Gerade unterdrückte sie mühsam ein Gähnen, als jemand an ihren Tisch trat.
    »Der kommt nicht mehr.«
    Überrascht sah sie zu dem jungen Mann mit den grauen Augen auf. »Wahrscheinlich nicht«, stimmte sie widerwillig zu und kramte ihr Portemonnaie hervor. Er sollte nicht glauben, dass sie nun bei ihm Trost suchen würde.
    »Soll ich dich nach Hause bringen?«, fragte er prompt.
    Sie erinnerte sich an den unheimlichen Kerl, der sie an der Seine verfolgt hatte, und zögerte. Doch ihn kannte sie ebenso wenig, und sie wollte ihn auch nicht ausnutzen. »Nein.« Wieder sah sie durch die Scheibe nach draußen. »Das ist wirklich …« Als sie den Mann auf der Straße erkannte, geriet ihre Stimme zu einem Wispern.

R   afe.«
    Sophie warf den erstbesten Geldschein, der ihr zwischen die Finger kam, auf den Tisch, riss mit der freien Hand ihre Jacke von der Rückenlehne und hastete zum Ausgang. Hinter ihr polterte der Stuhl zu Boden, während sie sich zwischen den verdutzten Studenten hindurchdrängelte. Wenn es so weiterging, würde ihr bald der Ruf überstürzter Abgänge vorauseilen, doch sie wischte den Gedanken beiseite. Ihr Herz raste. Sie hatte Rafe vor dem Fenster gesehen, ganz sicher. Keine Sekunde durfte sie jetzt verlieren.
    Vor der Tür empfing sie kühle Nachtluft. Es waren weniger Leute unterwegs als zuvor, aber mehr, als sie an einem Sonntag erwartet hätte. Sie drehte den Kopf, fürchtete, die Gestalt, die eben an der Bar vorbeigegangen war, könne ein weiteres dummes Trugbild gewesen sein, das die Sehnsucht ihr vorgaukelte.

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