Der Kuss des Engels: Roman (German Edition)
Informanten getroffen. Es war unfair, dass sie hier liegen und sich quälen musste, während er, den es nur beruflich interessierte, über alles Bescheid wusste.
Ich werde ihn jetzt einfach anrufen und die Wahrheit verlangen! Entschlossen holte sie das Handy hervor. 02:34 Uhr, und der Akku war schon wieder so gut wie leer. Er musste kaputt sein. Sie zögerte. Wenn jemand sie um diese Uhrzeit wach klingeln würde … Nein, das konnte sie nicht machen. Ein wütender, schlaftrunkener Jean würde ihr nur die Leviten lesen und fluchend wieder auflegen, aber ganz bestimmt keine Erklärungen liefern. Gab es denn niemand, mit dem sie reden konnte? Auch Lara würde sauer sein und sie außerdem für verrückt erklären, wenn sie von einem untergetauchten Rafe ohne Gedächtnis anfing.
Wieder nagte der Gedanke an ihr, dass er sie sehr wohl erkannt haben könnte und die Reaktion nur heroisch unterdrückt hatte. Wenigstens das musste sie loswerden. »Rafael saß im Café nebenan und hat mich nicht erkannt. Das ergibt doch keinen Sinn, oder?«, tippte sie und schickte die Nachricht ab. Eine SMS würde Jean nicht wecken, aber sie hatte endlich das Gefühl, ihr Problem mit jemandem zu teilen.
Ein wenig erleichtert legte sie sich wieder hin. Das Handy wird morgen die Grätsche machen, wenn ich es nicht endlich auflade. Sie zog den Stecker des Ladekabels unter dem Nachttisch hervor und hätte das Telefon beinahe fallen lassen. Jean ruft an, verkündete das Display. Rasch beendete sie den in der Stille erschreckend lauten Klingelton. »Jean? Tut mir leid, ich wollte Sie nicht wecken.« Sie sprach so leise wie möglich, ohne zu flüstern.
Er klang zu präsent, zu sehr auf dem Sprung, um aus dem Schlaf gerissen worden zu sein. »Geht es Ihnen gut? Wo sind Sie?«
O nein, wie peinlich! Er glaubt, ich stecke in Schwierigkeiten. »Ich bin zu Hause. Bitte, machen Sie sich keine Sorgen. Es ist wirklich alles in Ordnung. Ich …«
»Gut«, sagte er ruhiger, aber immer noch mit einer gewissen Schärfe. »Ich hatte befürchtet, Sie seien bei ihm. Haben Sie mit ihm gesprochen?«
Dass ihn die Vorstellung, sie könne bei Rafe sein, so sehr aufbrachte, wühlte Sophies Gefühle von Neuem auf. Er musste ihn für unglaublich gefährlich halten. »Nein, nein. Er hat nur zu mir herübergeschaut. Können Sie sich vorstellen, wie das ist? Ihre angeblich verstorbene Verlobte sitzt plötzlich in einem Café und sieht durch Sie hindurch, als wären Sie ein Fremder?« Sie hörte ihn tief durchatmen. »Ich weiß, dass das kein Grund ist, Sie mitten in der Nacht anzurufen. Deshalb habe ich ja nur eine SMS geschickt. Ich … musste das einfach jemandem erzählen.«
»Schon gut, Sophie.« Er hatte zu seinem üblichen Tonfall zurückgefunden, der besänftigend auf sie wirkte. »Sie haben mich nicht geweckt. Ich verstehe, dass es schwierig für Sie sein muss. Schließlich haben Sie ihn geliebt.« Im Hintergrund schwoll Motorenlärm an und wieder ab. War er noch unterwegs? »Ich werde morgen versuchen, es Ihnen zu erklären. Das ist nichts, was man am Telefon besprechen sollte.«
»Aber es raubt mir den Schlaf, nicht Bescheid zu wissen.«
»Versuchen Sie es trotzdem. Ich kann es Ihnen nicht sagen, ohne Ihr Gesicht zu sehen. Außerdem können Sie dann nicht einfach auflegen, bevor ich ausgeredet habe.«
Bei den letzten Worten hatten sich Belustigung und Bitterkeit zu einer zynischen Note vermischt und machten Sophie stutzig, doch bevor sie darauf reagieren konnte, sprach er schon weiter. »Ich sollte auch langsam zusehen, dass ich nach Hause komme. Gute Nacht, Sophie.«
»Gute Nacht.«
Die Buchhandlung war so unauffällig, dass Sophie fast daran vorbeigeeilt wäre. Sie hatte die letzte Stunde sausen lassen müssen, um einigermaßen pünktlich hier zu sein, was man ihr morgen sicher vorwerfen würde. Auch wenn es freiwilliger Unterricht war, für den sie bezahlte, nahmen einige Lehrkräfte ihre Aufgabe sehr ernst. Sophies Gewissen plagte sie auch im Hinblick auf die Prüfung in drei Tagen, aber sie versuchte, es zu ignorieren. Wenn Rafes Anblick sie am Abend zuvor nicht so verwirrt hätte, wäre ihr die ungünstige Uhrzeit sofort aufgefallen, und sie hätte Jean gebeten, sich später mit ihr zu treffen. So hatte sie es jedoch erst am Morgen gemerkt, nachdem sie sich mithilfe von drei Tassen Kaffee von einer Schlafwandlerin in einen halbwegs zurechnungsfähigen Menschen verwandelt hatte.
Den ganzen Vormittag hatte sie mit sich gehadert, ob sie Jean
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