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Der Kuss des Greifen (German Edition)

Der Kuss des Greifen (German Edition)

Titel: Der Kuss des Greifen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Harrison
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es auch Rune, der ihre Seele wiedererweckte.
    Und sie ließ ihn gewähren.
    »Spitz die Lippen«, murmelte Rune.
    Sie tat es, und er küsste ihren Mund mit weichem Lippenstift. Sie öffnete die Augen einen winzigen Spalt, um in sein ruhiges, konzentriertes Gesicht zu blicken. Das Licht über dem Badezimmerspiegel fiel in seine Augen und brachte sie zum Leuchten. Er legte einen Zeigefinger unter ihr Kinn und hielt es fest, während er sie eingehend betrachtete.
    »Okay«, sagte er. »Ich bin fertig.«
    Sie öffnete die Augen. Sie starrten einander an. Seine Augen waren geweitet und ganz auf sie konzentriert. Mit der Daumenkante wischte er über den Rand ihrer Unterlippe und hauchte: »›In ihrer Schönheit wandelt sie / Wie wolkenlose Sternennacht / Vermählt auf ihrem Antlitz sieh / Des Dunkels Reiz, des Lichtes Pracht.‹ Darling, du warst schon immer umwerfend, aber jetzt bist du ganz offiziell der Hammer.«
    Ihr Mundwinkel zitterte und hob sich. »Findest du wirklich?«
    »Ich weiß es«, sagte er mit rauerer Stimme als zuvor. Er zog sie vom Waschtisch herunter und drehte sie zum Spiegel. Und wieder starrte sie sich an. Sie ignorierte ihre eigenen Gesichtszüge, um sich auf die gewandte Zartheit zu konzentrieren, mit der er ihre Augen vergrößert, ihre hohen Wangenknochen betont und ihre vollen Lippen zum Glänzen gebracht hatte. Er hatte keinen einzigen falschen Pinselstrich gesetzt. Sie sah strahlend und schön aus und erglühte wie eine Frau, die liebevoll umsorgt wurde.
    Liebevoll umsorgt.
    Sie lehnte sich mit dem Rücken an seine Brust, und er legte die Arme um sie. Ihre Blicke trafen sich im Spiegel, der elegante, gefährliche Rune und diese fremde neue Frau, und die Wirkung war so durchdringend wie der erste Blickkontakt zwischen Paris und Helena, der eine ganze Welt von Göttern und Männern in den Krieg geführt hatte.
    Aber vielleicht lag das auch nur an dem Zyklon, der ins Schlafzimmer brauste und aus dem sich die große Gestalt eines hochmütigen Prinzen herausbildete.
    Carling und Rune drehten sich gleichzeitig um und blickten Khalil an.
    Der Dschinn streckte die Hand aus. Auf seiner breiten, weißen Handfläche lag ein schwarzer, halb zerquetschter, länglicher Gegenstand.
    Die Zeit hatte ihm so übel zugesetzt, dass er kaum noch als Messer zu erkennen war.

15
    Wie versteinert stand Rune mit verkrampften Muskeln da.
    Carling streckte langsam die Hand nach dem Messer aus und schloss die Finger darum. Sie sah auf und blickte in Khalils seltsame, diamantklare Augen. Der Dschinn beobachtete sie mit schief gelegtem Kopf und neugieriger Miene.
    Aber er fragte nicht nach einer Erklärung. Stattdessen sagte er: »Damit ist der zweite von drei Gefallen, die ich dir schuldete, abgegolten.«
    »Ja, natürlich«, sagte sie. »Vielen Dank, Khalil.«
    Er neigte den Kopf. Etwas flackerte auf seinen eleganten Gesichtszügen auf, und in einer ungewöhnlichen Geste berührte er ihre Finger. Dann verschwand er in einem Wirbelsturm aus magischer Energie.
    Carling wandte sich zu Rune um, der auf ihre Faust starrte. Die Haut um seinen Mund war weiß geworden, und eine Ader in seiner Schläfe pochte sichtbar.
    Sie konnte sich nicht an ihre ursprüngliche Vergangenheit erinnern, aber in der Vergangenheit, die sie gemeinsam erschaffen hatten, erinnerte sie sich daran, wie sie ihm zum ersten Mal als erwachsene Vampyrin begegnet war. Beinahe hätte sie ihn nicht erkannt, so lange war es her, dass er den Priester getötet und ihr Leben verändert hatte. Aber da war etwas in der Art gewesen, wie er sich bewegte, und auch in seinem wilden weißen Lächeln, das Frauen verrückt vor Sehnsucht machte.
    All das hatte sie mit emotionslosem Gesicht beobachtet, und mit einem uralten Herzen, das so zynisch geworden war, dass es an nichts mehr glaubte als daran, dass sich die Dinge ständig änderten. Und dann hatte sie auf der Insel gefordert, dass er vor ihr niederkniete, und er hatte sie geküsst, und sie würde bald sterben, und er hatte sich noch immer nicht an sie erinnert , und deshalb hatte sie ihn mit all der Wut und all dem Schmerz, den sie in sich trug, geschlagen …
    Ihre Vergangenheit hatte sich verändert, und doch war alles tiefer und wahrer als zuvor. Sie konnte sogar vor sich sehen, wie sie ihr Leben gelebt haben musste, bevor er überhaupt darin vorgekommen war – wie Schatten der Realität, wie eine andere Carling – vergleichbar mit den skizzenartigen Umrissen der Insel, die den Horizont der Bucht überlagerten.

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