Der Kuss des Greifen (German Edition)

ihrem Anblick hatte er ein so heftiges Begehren gespürt, dass es ihm körperliche Schmerzen und geistige Qualen bereitete.
    Solange er zurückdenken konnte, war Carling etwas Einzigartiges gewesen. Obwohl sie stets von einem Gefolge Bediensteter umgeben war – allesamt große, wunderschöne und tödlich elegante Vampyre – und obwohl zu diesen Bediensteten oft männliche Begleiter zählten, überstrahlte sie alle Gestirne in ihrem Sternbild, weil sie mit der Intensität einer Supernova brannte. Frauen sahen sie als Bedrohung, während Männer sie mit Begierde betrachteten, und Carling wies sie alle in ihre Schranken.
    Runes Verlangen röhrte wie der Motor einer Harley-Davidson, der auf Touren kam, um eine Runde mit ihm zu drehen. Er stand auf, und ihr sturmerfüllter Blick folgte ihm.
    »Vielleicht hast du es vergessen«, sagte er mit freundlicher Stimme. »Ich zeige es dir.«
    Nun war es an ihm, den klaren, schlanken Bogen ihres Kiefers mit seinen großen, schwieligen Händen zu umfassen, und sie ließ es geschehen. Ihre honigfarbene Haut fühlte sich kühl an, und ihre magische Energie surrte förmlich unter seinen Händen. Gütige Nacht, wie konnte sie all das in sich tragen, ohne aus allen Nähten zu platzen?
    Mit dem Handballen strich er über ihre Lippen. Ihre Haut hatte eine seidige Textur, und das weiche, pralle Fleisch gab unter seinem sanften Druck nach. Seine Hände waren vom Kämpfen und anderen körperlichen Arbeiten zu abgehärtet. Die einzige Möglichkeit, die Tiefe dieser exquisiten Weichheit wahrhaft zu erkunden, war, sie mit seinen Lippen zu bedecken.
    »Wenn du gestattest«, raunte er.
    Er beugte den Kopf zu diesem unvergleichlichen Gesicht hinab, wobei er ihr reichlich Zeit ließ, um zu reagieren und nein zu sagen. Dann kämpfte er darum, das Zittern tief in seinem Inneren zu verbergen, während er die Lippen auf ihre legte und über das einzigartig vornehme Terrain ihres Mundes streichen ließ. Seine ganze Aufmerksamkeit konzentrierte sich darauf, dieses kostbare Erlebnis zu genießen.
    Und sie ließ ihn gewähren.
    Er war vorsichtig mit ihr. Den seltensten aller Schätze sollte man mit Respekt behandeln. Behutsam neigte er ihren Kopf und stellte sich so, dass er ihren Oberkörper ganz sacht streifte. Eine Hand legte er in ihren Nacken, wo der Kopf mit einer sanften Wölbung in den schlanken Hals überging. Seine Finger waren so lang, dass er ihren Hinterkopf mühelos umspannen konnte.
    Er bot ihr die Gelegenheit, sich in seinen sicheren Halt zurücksinken zu lassen, und führte sie bei diesen ersten Schritten eines intimen Tanzes. Sie ließ sich führen, machte genau die kleine Bewegung, zu der er sie einlud, aber nicht mehr, und ließ ihren Kopf in seiner Hand ruhen. Dabei wölbte sie verträumt und doch absichtsvoll den Rücken. Heiliger Höllenschlund, sie musste eine geschickte Liebhaberin sein – eine äußerst raffinierte Liebhaberin, die alle komplexen Nuancen dieses Tanzes kannte und wusste, wann sie auf den kleinsten unterdrückten Seufzer reagieren musste und wann sie sich in rasender Ekstase gehen lassen konnte.
    Unter seinen Lippen und Händen erwärmte sich ihre Haut, und sie holte Luft. Es war ihr dritter Atemzug, seit sie sich an diesem Morgen begegnet waren. Bei jedem dieser verräterischen Reflexe wollte er ein triumphierendes Knurren ausstoßen.
    Er wagte es, ihre prall geschwollene Unterlippe zwischen die Zähne zu nehmen und ganz zart daran zu saugen.
    Ihre Lippen bebten und öffneten sich.
    Der Greif in ihm brüllte.
    Er ließ sich Zeit damit, die intimen Bereiche ihres Mundes zu erobern, neigte den Kopf zur Seite und schlängelte seine Zunge in ihren Mund. Ihr entwich ein tiefes, kehliges Geräusch, und es war so sinnlich, dass es seine Seele erschütterte und eine Wandlung in ihm auslöste. Sie schlang die Arme um seinen Hals, schmiegte sich eng an ihn und erwiderte den Kuss.
    Runes Selbstbeherrschung wurde aus der Umlaufbahn geschleudert. Voller Verblüffung packte er Carling und schlang die Arme um ihre Taille. Er riss sie an sich und hob sie vom Boden hoch, während er seine Zunge blindlings in sie stieß. Sein Herz dröhnte mit gewaltigen Schlägen wie ein Vorschlaghammer, und seine Haut war kaum mehr als ein dünner Schleier, der eine Feuersäule verhüllte. Er legte eine Hand auf ihre Hüfte und packte fest zu, und dann bewegte sich seine Hand, ohne dass er etwas dagegen hätte tun können, glitt an ihrem Oberkörper hinauf bis zur schweren Fülle ihrer Brust.