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Der Kuss des Greifen (German Edition)

Der Kuss des Greifen (German Edition)

Titel: Der Kuss des Greifen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Harrison
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Tränen.
    Er runzelte die Stirn. Er hatte Rhoswen nie anders als vollkommen gefasst erlebt. »Sie weinen nicht, weil Carling Hühnchen brät«, sagte er.
    Rhoswen schüttelte den Kopf und vergrub das Gesicht im Fell des Hundes.
    Das ist der Punkt, an dem du den Mund halten und dich um deine eigenen Angelegenheiten kümmern solltest, Sohn. Das ist der Punkt, an dem du dich einfach wieder umdrehst und davongehst. Also setz deinen Hintern in Bewegung und sieh zu, dass du Land gewinnst. Du hebst jetzt nicht den Kopf und gestehst dir ein, was dir schon die ganze Zeit aufgefallen ist: dass etwas nicht stimmt.
    Er legte den Kopf schief und lauschte. Außer dem Wind, der draußen durch die Bäume strich, und dem schrillen Schrei der Seemöwen über ihnen war nichts zu hören. Wann hatte er Carling je ohne irgendeine Art Gefolge gesehen, das ihr wie ein Kometenschweif hinterherwehte?
    »Warum sind Carling und Sie die beiden einzigen Personen auf dieser Insel?«, fragte Rune.
    Mit gedämpfter Stimme sagte die Vampyrin: »Weil sie stirbt und alle anderen Angst haben.«
    Mitternachtsstille erfüllte Rune wie schwarze Tinte.
    Er ging wieder ins Haus, schloss die Tür hinter sich und lehnte seinen Seesack gegen die Wand. »Sie sollten mir wohl besser alles erzählen.«
    Carling saß in ihrem Sessel, der so vor dem Fenster stand, dass der Streifen Morgensonne nur wenige Zentimeter vor ihren bloßen Füßen auf den Boden fiel.
    Sie betrachtete die schräg einfallenden, transparenten Sonnenstrahlen. Sie überfluteten alles mit ihrer Überfülle an Licht, verschwenderischer als der Schatz eines Königs und tödlicher als Nachtschatten. Sie ließ den Schutzschild aus magischer Energie fallen, in den sie sich stets hüllte wie in einen Mantel. Mit diesem Schild konnte sie sich dem vollen Tageslicht aussetzen, doch ohne ihn würde sie wie jeder andere Vampyr zu Asche verbrennen.
    Sie erinnerte sich nicht mehr an das angenehme Gefühl, ein Bad im wärmenden Sonnenlicht zu nehmen. Sie erinnerte sich daran, dass sie es getan hatte, aber nicht mehr an die Empfindung. War es so ähnlich, wie sich am warmen Feuerschein zu wärmen? So jedenfalls stellte sie es sich vor.
    Jetzt verhieß die Sonne nichts als Schmerz und Brandopfer.
    Sie biss die Zähne zusammen, dann streckte sie die Hand aus, um den Sonnenschein zu berühren.
    Sengender Schmerz durchfuhr sie. Sie sah Rauch von ihrer Haut aufsteigen und roch ihr eigenes verbranntes Fleisch. Ein Sekundenbruchteil war beinahe mehr, als sie ertragen konnte. Bei jedem längeren Kontakt wäre ihre Hand in Flammen aufgegangen. Schnell zog sie sie zurück und betrachtete die Blasen, die sich auf ihren Fingern und dem Handrücken gebildet hatten. Vor ihren Augen begannen die Blasen zu heilen.
    Sie wappnete sich innerlich und hielt dann die andere Hand in das flüssige Licht.
    Neben ihr fluchte eine tiefe, vertraute Stimme. Jemand griff kraftvoll nach ihrem Arm und zog sie, samt Sessel und allem Drum und Dran, gut einen Meter vom Sonnenlicht fort. Die Holzbeine des Sessels schrammten über den Boden. Carling blinzelte, bis sie wieder klar sehen konnte.
    Rune saß vor ihr in der Hocke, seine langen, breiten Schultermuskeln waren angespannt. Er hielt ihre Handgelenke umfasst. Vor Schmerzen zitternd und mit zusammengekrümmten Fingern versuchte sie, sich zu befreien, doch er ließ sie nicht los. So stark sie auch war, er war stärker. Heftige Empfindungen verdunkelten seinen Blick, und sein attraktives Gesicht hatte ernste Züge angenommen. Die Haut um seinen angespannten Mund färbte sich weiß, als er die Blasen auf ihrer Hand schrumpfen sah.
    Carling betrachtete ihn resigniert. Nach dem Sturm der Gefühle vorhin und den beiden Schmerzschüben wusste sie nicht, ob sie die Kraft hatte, sich Runes ganz spezieller Art von vulkanischer Energie zu stellen. Seine Gegenwart ließ ihre hypersensiblen Nerven explodieren.
    »Tut mir leid«, sagte Rune mit beherrschter Stimme. Er lockerte den unnachgiebigen Griff, mit dem er ihre Handgelenke gehalten hatte, zu einer sanften Berührung. »Es war ein Reflex, als ich deine Hand brennen sah. Hilft es?«
    Die Resignation in ihrem Blick verwandelte sich in Argwohn. Seine Beherrschtheit wirkte nicht so beruhigend, wie es sonst der Fall sein mochte, zumal es in ihm gleichzeitig heftig brodelte. »Was meinst du damit – ob es hilft? Hat jemand etwas ausgeplaudert? Ich habe dich aufgefordert zu gehen. Was machst du also noch hier?«
    »Ja, jemand hat geredet«, sagte Rune.

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