Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Kuss des Greifen (German Edition)

Der Kuss des Greifen (German Edition)

Titel: Der Kuss des Greifen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Harrison
Vom Netzwerk:
ihr und erweckte dabei den Anschein völliger Ruhe, aber natürlich wusste sie es besser.
    »Also«, sagte Rune. »Was ist passiert?«
    »Ich weiß es nicht.« Sie legte die Stirn in Falten, als sie versuchte, das flüchtige Gefühl festzuhalten, doch es war bereits zerronnen. »Aber irgendetwas war es«, beharrte sie. »Etwas hat sich verändert.«
    Rhoswen verfiel in tränenreiches Brabbeln. Carling war so ermüdet davon, auf die Ichbezogenheit der jüngeren Vampyrin einzugehen, dass sie einfach die Hand vor ihre Augen legte.
    Scharf fuhr Rune die jüngere Vampyrin an: »Rhoswen, hör auf damit!«
    Das Gebrabbel erstarb mitten im Satz. Beleidigt und überrascht sah sie Rune an.
    »Diese Art von Übersteigerung hilft im Augenblick niemandem weiter. Wenn du nichts zur Situation beizutragen hast, geh raus«, sagte er mit harter Stimme.
    Carlings Brauen hoben sich hinter ihrer Hand. Beinahe wäre sie versucht gewesen zu lachen.
    Rhoswens Antwort klang erstickt. »Ich werde … den Hund füttern und mit ihm rausgehen.«
    Carling berührte Rhoswens Hand. »Danke«, sagte sie.
    Rhoswen schniefte und nickte. Sie nahm Rasputin von Carlings Schoß und verließ gesenkten Hauptes das Zimmer.
    Rune wartete, bis die jüngere Vampyrin verschwunden war. Dann fing er an, im Zimmer auf und ab zu laufen. Allmählich wurde er langsamer, als wollte er den Anschein von Entspanntheit erwecken, doch die Korona aus Brutalität, die ihn umgab, machte es ihr beinahe unmöglich, noch irgendetwas anderes zu sehen oder zu spüren.
    Mit ruhiger Stimme fragte er: »Die Schübe sind nicht schmerzhaft, oder? Hast du irgendwelche Beschwerden?«
    »Nein«, sagte sie. »Ich bin nur müde.«
    Sie war mehr als nur müde. Sie war zu Tode erschöpft. Diesmal konnte ihr nicht einmal die bemerkenswerte Vitalität von Runes kraftvollen Emotionen neue Energie spenden. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie zuletzt geschlafen oder sich auch nur genug ausgeruht hatte, um sich erfrischt zu fühlen. All das gehörte zum Fortschreiten der Krankheit dazu; man verlor die Fähigkeit, richtige Nahrung aufzunehmen, und begann, sich von Gefühlen zu ernähren. Einige Jahrhunderte später konnte man nicht mehr schlafen und die Schübe kamen häufiger. Carling schlang die Arme um ihren Körper und kuschelte sich in eine Ecke des Sessels.
    Rune sah sie scharf und forschend an. An einem der Beistelltische hielt er an, um eine Öllampe zu entzünden, und die Sitzgruppe wurde in weiches Licht getaucht. Er warf einen Blick auf die aufziehbare Uhr auf dem Kaminsims und setzte sein Umherstreifen fort. »Rhoswen ist vorhin aufgewacht und wollte nach dir sehen. Die Sonne war noch nicht untergegangen, also kann der Zeitpunkt, an dem du in die Trance eingetreten bist, irgendwann zwischen spätem Nachmittag und frühem Abend liegen. Jetzt ist es fast Mitternacht. Ist das eine typische Länge für einen solchen Schub?«
    »Das schwankt«, murmelte sie. »Vor Kurzem hatte ich eine, die mehrere Tage andauerte. Diese hier hat anscheinend einige Stunden gedauert.«
    »Okay.« Vor den großen Fenstern blieb er stehen und blickte hinaus. Er schwieg eine Weile, dann murmelte er vor sich hin: »Interessant.«
    Sie betrachtete ihn resigniert. So sehr er sie auch faszinierte, im Augenblick wollte sie nichts lieber, als dass er fortging und sie in Ruhe ließ. »Was?«
    Er sah wieder zu ihr. »Deine Fenster gehen nach Osten.«
    Sie zuckte mit einer Schulter und bemerkte, wie diese kleine Bewegung seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Ein eigenartiger Ausdruck überlief seine hageren, gebräunten Züge, und eine scharfe Empfindung durchzuckte ihn, vielleicht Schmerz.
    »Ich sehe mir gern die Morgensonne an«, sagte sie.
    »Khepri«, flüsterte er.
    Eisiger Schreck rieselte über Carlings Haut; seit Jahrtausenden hatte das niemand mehr zu ihr gesagt. » Was hast du gerade gesagt?«
    Er trat hinter den zweiten Sessel und stützte die verschränkten Arme auf der Lehne ab, während er Carling mit unverwandter Intensität anblickte. »Vorhin war die Bucht von San Francisco zu sehen«, sagte Rune. »Jetzt ist sie es nicht mehr. Ich war draußen, als sie kurz vor Sonnenuntergang sichtbar wurde, und das scheint ziemlich nah an der Zeit zu sein, zu der du in Trance gefallen sein könntest. Ist das ein Zufall?« Er machte eine Pause, um ihr Raum für eine Antwort zu lassen. »Oder nicht?«
    Widerwillig gab sie zu: »Vielleicht nicht.«
    Er richtete sich auf und verschränkte die Arme vor der Brust. Er wirkte

Weitere Kostenlose Bücher